25|01|14: Kurt Kuch – Carpe Diem

Dieser Tage ist es zehn Jahre, dass Kurt Kuch gestorben ist und wir ihn begraben haben. Dieser Tage haben seine Frau Elke und seine Tochter Lea ein Buch mit Erinnerungen an Kurt vorgestellt, verlegt in der verdienstvollen Edition Lex Liszt 12 von Horst Horvath und präsentiert im Offenen Haus Oberwart, eine der frühen Wirkungsstätten von Kurt. Im Buch erzählen 36 Freund:innen und Kolleg:innen von Kurt (die meisten oben abgelichtet), meist persönlich, oft eher in Form von Briefen, Anekdoten und Tagebucheinträgen als von journalistisch präzisen Beiträgen. Das ist auch gut so.

Zum einen war Kurt selber kein Stilist. Die unverblümte Prosa der Aufdeckung lag ihm mehr als die Lyrik des Feuilletons. Zum anderen erfüllt die Textsammlung auch die Aufgabe, seiner Tochter Lea die Möglichkeit zu geben, ihren Vater eben auch als Erwachsene kennenzulernen, war sie doch bei seinem Tod gerade mal zwölf Jahre alt. Dass und was aus ihr geworden ist, wurde den Gästen der Präsentation klar, als Lea zu Beginn der Veranstaltung das Wort ergriff und ihren Beitrag vorlas. Meinen ersten Eindruck habe ich in einer Nachricht an Freundin T. so zusammengefasst:

„Dieses junge Menschenkind setzt sich vor 250 Menschen auf die Bühne und liest einen Text über ihren Vater, seinen viel zu frühen Tod, ihre Schwierigkeiten als 12-jährige und später als Pubertierende damit zurecht zu kommen und den Frieden, den sie für den Augenblick als 22-jährige damit gefunden hat, dermaßen eindrücklich, dass dem Publikum der Atem stockt und es verblüfft ob der Tiefe, Klugheit und Abgeklärtheit dieses Menschenkinds vergißt zu heulen (was recht und würdig gewesen wäre) und stattdessen einfach nur Bewunderung verspürt. So war das gestern in Oberwart. Den Vater hätte das alles sehr gefreut.“

Bei der Präsentation habe ich auch meine Lieblingsanekdote erzählt, die ich übrigens von Arnold Schmidt paraphrasiert habe (aber das ist eine andere Geschichte). Wenn ich heute bald 20 Jahre nach dem Ende meiner Karriere im Medienwesen gefragt werde, was mein größter Erfolg als Journalist war, antworte ich: Die Entdeckung des Talents von Kurt Kuch. Hier also mein Beitrag für den Band – und für Leas Erinnerungen. 

Kurt Kuch: Der erste Datenjournalist

„Aufdecker“ wurden Journalisten wie Kurt Kuch genannt und gern in eine Traditionsreihe mit Legenden wie Alfred Worm oder Wolfgang Höllrigl gestellt. Die Tätigkeit des Aufdeckens bezieht sich auf ein – immer schon – sehr simples Bild, demzufolge die Tatsachen unter einem Stapel liegen und einfach ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. Das Bild birgt aber auch den dubiosen Ruf, dem solche Journalisten ausgesetzt waren. Vom Aufdecker ist es nicht weit zum Abdecker, der die ausgemergelten und alten Gäule zu Leder und Seife verarbeitete; an den Ortsrand verwiesen wegen des üblen Gestanks, den die Tierkörperverwertung verursachte, und der üblen Nachrede, dem diese Menschen trotz ihrer so notwendigen Arbeit ausgesetzt waren. Aufgedeckt werden auch die Karten beim Pokerspiel, in der Hoffnung das bessere Blatt zu haben und/oder das Vis-a-vis mit einem Bluff zu übertrumpfen. Ebenfalls kein besonders renommiertes Gewerbe.

Solch Spielereien waren Kurt fremd. Ein Stilist war er nicht. Dafür waren die Themen, die Kurt recherchierte und beschrieb, auch zu fordernd: Politkriminalität, Korruption und Neonazismus verlangten nach einer eindeutigen Sprache, die einzig der Erläuterung der bisweilen hochkomplexen Inhalte und Netzwerke diente. Kurts Antwort auf den Irrsinn der Welt war die Erhebung und Analyse von Daten. Je umfangreicher desto besser. Andere Journalist*innen schreckten vor den Möglichkeiten und Gefahren der in den frühen 1990er Jahren um sich greifenden elektronischen Informationstechnologien zurück und verließen sich lieber auf einen Zund, die Vernaderung, eine schnelle Mitschrift, das eine fotokopierte Dokument und andere, oft obskure Quellen. Kurt aber stürzte sich in die damals praktisch unbekannten Abgründe der Computerfestplatten und Internet-Server; er entlockte den binären Codes und Algorithmen die wesentlichen Informationen, um mit belastbaren Daten und Fakten wieder aufzutauchen. Kurt deckte nicht einfach auf; er schürfte tief. Die Ergebnisse sprachen für sich, auch ohne stilistische Extravaganzen. Kurz gesagt – wie er es am liebsten tat: Kurt Kuch war der erste Datenjournalist Österreichs.

Grundlage dieser Fähigkeit war sein Besuch der Handelsakademie im heimatlichen Oberwart. Für Absolventen von renommierten Gymnasien der Wiener Innenstadt wurden dort so exotisch anmutende Themen wie Kaufmännisches Rechnen, Warenkunde, Controlling und Elektronische Datenverarbeitung unterrichtet. Das staubige Renommee wurde immerhin durch den Einsatz von Computern korrigiert. Interaktive Benutzeroberflächen waren damals Neuheiten, Kenntnisse im Programmieren mit Boolschen Ausdrücken (true/false) und von Sprachen wie Basic oder C++ von Vorteil für die Handhabung eines Computers. Das Internet wurde mit Anwendungen wie Netsacape Navigator und später Internet Explorer erschließbar. Das World Wide Web veränderte die provinzielle Welt der Redaktionen. Junge, technik-affine Menschen wie Kurt Kuch wussten die Chancen zu nutzen – und ließen so die Aufdecker recht schnell recht alt aussehen.

Kurts wahrscheinlich erste Veröffentlichung im Magazin NEWS von Ende August 1996 dokumentiert diese Veränderung – und seine Fähigkeiten als früher Datenjournalist. Mein Kollege Andreas Kuba und ich schilderten unter dem Titel „Braune Schützlinge“ die Verknüpfung eines damals hochrangigen FPÖ-Funktionärs mit mehreren Neonazis, denen unter anderem die Schändung von jüdischen Friedhöfen im Burgenland vorgeworfen wurde. Die Verbindungen wurden von diesem Funktionär und der FPÖ vehement geleugnet. Und von uns recht einfach belegt: Die Neonazis waren Schüler dieses Funktionärs, denn er war Geographie- und Turnlehrers an der örtlichen Handelsakademie gewesen. So wie Kurt Kuch, der uns als Informant den Zusammenhang erklärt hatte, aber nicht namentlich genannt wurde. Erwähnt waren Aussagen von anderen Informanten wie einem lokalen Rechtsanwalt und Belege, die die Mitgliedschaft der Neonazis in der Jugendorganisation der FPÖ dokumentierten.

Ergänzt wurde der Artikel durch einen Kasten, der nicht namentlich gezeichnet war und meiner Erinnerung nach im Wesentlichen von Kurt stammte. Mein Beitrag beschränkte sich darauf, das dichte Informationspaket in lesbare Form zu bringen. Und lesenswert war der Text allemal. Kurt erklärte darin, wie das rechtsradikale Thule-Netzwerk funktionierte, in dem einer der Neonazis Überlegungen „zum Überleben der gesamten weißen Rasse“ und Anleitungen zum Bau von Bomben postete, die „jeder selbst mal brauchen könnte.“ Darüber hinaus erklärt Kurt, was es mit der Verschlüsselungssoftware „Pretty Good Privacy“ auf sich hat – wahrscheinlich zum allerersten Mal in Österreich außerhalb eines Fachmediums. Kurt war es danke seiner IT-Kenntnisse gelungen, in dieses Netzwerk einzudringen.

Wobei die Sicherheitsvorkehrungen – trotz PGP – damals meist recht rudimentär waren. An einem anderen Beispiel erklärt: Mitte der 1990er Jahre wurden Mobiltelefone Massenmarkt-tauglich. Kurt als early adopter war da vorne mit dabei. Ein Dienst waren Mailboxen, auf denen akustische Nachrichten (Textnachrichten waren damals ebenso exotisch wie kostenpflichtig) hinterlassen und vom Empfänger mit Hilfe eines Codes abgerufen werden konnten. Kurt kam irgendwann darauf, dass der Code der Werkseinstellung (#1234) von der Mehrzahl der nicht sonderlich technikaffinen Handynutzer im heimischen Politikbetrieb nie geändert wurde. Die Nachrichten, die wir zu hören bekamen, waren nicht sonderlich aufregend: Meist Einkaufswünsche, Verabredungen und nur die eine oder andere Verleumdung, meist von Parteifreunden. Die Auffindung und Auswertung der Textnachrichten von Thomas Schmid im Zuge des Ibiza-Skandals 2021 zeugen davon, dass das digitale Sicherheitsbewusstsein der Akteur*innen in der politischen Arena des Landes sich seit Mitte der 1990er Jahre nicht wesentlich weiterentwickelt hat.

Aus diesen Anfängen entwickelte Kurt die Techniken für seine umfassenden Recherchen, erst im In-, bald auch im Ausland. Aus den ersten mühsamen Versuchen mit Hypercard (!!!) und FileMaker wurden umfangreiche Excel-Dateien und Datenbanken, in denen Kurt Vernetzungen abbilden und analysieren konnte, deren Protagonist*innen das Licht der Öffentlichkeit scheuten. Eingepflegt übrigens im kraftvollen Zehnfingersystem, auch so eine exotische Kulturtechnik aus der Handelsakademie. Die Geschichte über den FPÖ-Funktionär endet übrigens so, wie die meisten Recherchen von Kurt: Der leugnende Politiker trat schließlich doch zurück.

Der Info-Kasten über die Umtriebe im Thule-Netzwerk illustriert ein weiteres Anliegen von Kurt: Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und seinen zeitgenössischen Formen. Hintergrund dafür mag seine Herkunft aus dem multikulturellen Oberwart/Felsőőr/Borta/Erba (wie die Stadt in den Volksgruppen-Sprachen Deutsch, Ungarisch, Kroatisch und Romanes bezeichnet wird) gewesen sein; ergänzt um die dann doch in den 1990er-Jahren einsetzende Aufarbeitung des Völkermords an den burgenländischen Juden und Roma im 3. Reich. Das Bombenattentat in der Roma-Siedlung unweit seines Elternhauses, bei dem vier Männer ermordet worden waren, war erst 1995 verübt worden.

1997 – Kurt war sehr schnell als Talent erkannt und als Redakteur angestellt worden – beschlossen wir zu Recherchezwecken, das Haus der deklariert deutschnationalen Burschenschaft Olympia im 6. Wiener Bezirk zu besuchen. Ein Programmhinweis auf einen Vortrag eines rechtsradikalen Autors in einer ebenso rechtsradikalen Wochenzeitung bot den Anlass. Vor dem Haus angekommen standen wir vor verschlossenen Türen. Über die Gegensprechanlage verlangte eine Stimme wie beim Militär: „Parole!“ Kurt und ich blickten uns verdutzt an – und reagierten spontan: Ein schneidiges „Deutschland!“ öffnete uns Tür und Tor. Als wir den Vortragssaal betraten, wurde den Burschenschaftern ihr Fehler bewusst. Andererseits wollte man uns auch nicht so einfach rausschmeißen, weil ja der Vortrag immerhin öffentlich angekündigt worden war. Also wurden wir von zwei Vertretern der Burschenschaft zu einer Hausführung eingeladen, um uns von den anderen Besuchern abzusondern. Die beiden Männer – Vater und Sohn – versuchten den Eindruck zu erzeugen, es handle sich einfach um ein Studentenheim für kontaktarme Erstsemester aus den Bundesländern mit Neigung zu großen Bierkrügen, während die blutig gefochtenen Mensuren als harmlose Leibesübung heruntergespielt wurden. In der Bibliothek schließlich erläuterte das Duo den vermeintlichen Bildungsauftrag der Burschenschaft. Beiläufig griff Kurt ins Buchregal und zog den erstbesten Band heraus: „Mein Kampf“, versehen mit einer persönlichen Widmung des Führers für einen alten Herren der Burschenschaft. Unser Besuch wurde an dieser Stelle dann doch eher rüde abgebrochen.

Manchmal lohnte sich eben auch für den Datenjournalisten Kurt Kuch der reale Tauchgang in die Abgründe des Landes. Es ist ebenso reizvoll wie traurig sich vorzustellen, was Kurt heute zweifellos mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz recherchieren würde. Er hätte jede Menge zu tun.

aus: 

Lea Kuch und Elke Kuch (Hrsg.): „CARPE DIEM – Erinnerungen an Kurt Kuch“
Medieninhaber: Amt der burgenländischen Landesregierung Abt. 7 – Bildung, Kultur und Wissenschaft; Edition Lex Liszt 12; Oberwart, 2025

Kurt Kuch zu Gast beim Schnapsbrennen in Stinatz/Stinjaki bei Andreas Stoisits sen. im Jänner 2002 / Foto: Marijana Stoisits

In der Kurkonditorei Kaplan in Bad Tatzmannsdorf im November 2014. Dieses letzte Gespräch galt der Organisation des Wiener Balls der Wissenschaften, der im Jänner 2015 zum ersten Mal stattfand, vier Wochen nach Kurts Tod.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.