Sachbuch Kolumne September 2012

Der kontinentale Fluss:  Die Donau als Kulturträgerin

Es ist müßig, was die Anrainer der Seine, des Rheins, der Themse, der Weichsel, der Moldau oder der Wolga glauben: Die Donau ist der wichtigste Fluss Europas. Zwischen der Quelle auf der Schwäbischen Alb und der Mündung im Schwarzen Meer prägt der Strom Naturen und Kulturen sonder Zahl. Fotograf Achim Bunz und Autor Bernhard Schütz belegen diese Ausnahmestellung des Stroms in einem eben erschienen, prächtigen Bildband. Eigentlich hat sich wenig geändert, seit dem die ersten Siedler der alteuropäischen Kultur entlang der Donau in das Zentrum des Kontinents vordrangen; der Fluss ist im weitesten und im wahrsten Sinn ein Kulturträger von singulärer Bedeutung. Die hervorragen Bilder von Achim Bunz rufen diesen Schatz (und seine Vergänglichkeit) einmal mehr in Erinnerung. Technisch perfekt ausgearbeitet dokumentieren sie die Kulturdenkmäler im Wechselspiel mit der Natur zwischen Donaueschingen und – Budapest. Und das tut weh. Denn die Donau versickert ja nicht in der ungarischen Tiefebene. Mögen wir das abrupte Ende beim Hotel Gellért so verstehen, dass ein Folgeband bald die Schätze bis zum Schwarzen Meer würdigen wird.

„Die Donau – Kulturschätze an einem Europäischen Strom“ von Achim Bunz und Bernhard Schütz. Hirmer Verlag, 264 Seiten, € 51,30

Österreichischer Abgrund:  Erkundungen weit unter dem Meeresspiegel

Es scheint verwegen, ein Buch über die Tiefsee in Wien beginnen zu lassen. Doch diese Irritation gehört zu den klugen Methoden von Leo Ochsenbauer, der seine Leserinnen und Leser in die Abgründe jener Welt entführt, von der wir dem Vernehmen nach weniger Wissen als von der Rückseite des Mondes. Kenntnisreich und erzählfreudig berichtet der Autor von den absonderlich erscheinenden Kreaturen (wie der Yeti-Krabbe) und den technischen Genieleistungen, die zu der Erkundung dieses abgrundtiefen Lebensraums entwickelt wurden. Der tiefste Punkt dieser Welt  bezieht seinen Namen übrigens von der österreichischen Prinzessin Maria Anna, der Witwe des spanischen Königs Philipp IV., in dessen Auftrag das Archipel mit dem dazugehörigen Mariannengraben vor den Philippinen erkundet wurde.

„Tiefsee – Reise zu einem unerforschten Planeten“ von Leo Ochsenbauer. Kosmos, 256 Seiten, € 20,60

Die Mess-Strecke der Globalisierung – Eine Reise entlang des Nullmeridians

Manche Ordnungsmuster wirken so selbstverständlich auf uns, dass wir sie als Naturgrößen betrachten. Die Sieben-Tage Woche zum Beispiel. Oder der Null-Meridian. Quasi in Fortsetzung zu Dava Sobel Weltbestseller über den Längengrad hat sich der Niederländer Alfred van Cleef auf die Reise entlang des Nullmeridians begeben. Der erstreckt sich von Pol zu Pol über drei Kontinente, aber nur acht Länder und  bestimmt, wann wir aufstehen, die Kühe gemolken, die Aktien in Asien ver- und in New York gekauft werden: Die koordinierte Weltzeit wird an jenem Längengrad gemessen, der mit einiger Willkür durch den Londoner Vorort Greenwich  gelegt wurde. Van Cleefs kluge Mischung aus Erzählung, Reisebericht und wissenschaftlicher Rückschau ermöglicht es, die Realisierung dieses Ursprungsprojekts der Globalisierung ebenso nachzuvollziehen, wie seine höchst privaten Erlebnisse auf der Reise entlang des Nullmeridians.

„Die verborgene Ordnung – Eine Reise entlang des Nullmeridians“ von Alfred van Cleef, übersetzt von Marlene Müller-Haas. Mare Verlag, 400 Seiten, € 24,70

Griechische Göttergaben – Das Pantheon beim Patentamt

Manche Titel des Herbstprogramms der Verlage drängen sich gerade zu auf, als Kommentare zur aktuellen Nachrichtenlage verstanden zu werden. Das lässt sich auch bei diesem Buch nicht vermeiden. Der Beitrag der Griechen zur europäischen Geistesgeschichte ist unbestritten, ihre Leistungen auf technischem Gebiet werden dabei leicht übersehen. Doch die Mythen sind voll von Hinweisen auf die Götter als Erfinder, illustriert und dokumentiert durch die Werke der bildenden und schreibenden Künstler, die den Erfindungsreichtum ihrer Landsleute als göttliche Gabe verklärten. Dem Autorenpaar ist zu danken, diese Leistungen mit diesem Band in Erinnerungen gerufen zu haben.

„Götter als Erfinder. Die Entstehung der Kultur in der griechischen Kunst“ von Klaus Junker und Sabrina Strohwald. Verlag Philipp von Zabern, 104 Seiten, € 25,70

Habseligkeiten:  Wie wir sind, durch was wir haben

Es gehört keine besonders kulturpessimistische Grundhaltung dazu, uns europäische Menschen über Gegenstände zu definieren, zumal über jene, die wir besitzen. Die Autorin nimmt – wie sie im Vorwort offensiv festhält – die gegenwärtige wirtschaftliche Lage zum Anlass, unser Verhältnis zu diesen Dingen zu überdenken. Sie tut das mit einem reichhaltigen Sortiment an Erkenntnissen und Beobachtungen aus der Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Einfache Antworten vermeidet Schäfer: In unserer Welt „gilt Individualität als eines der höchsten Güter. Merkwürdigerweise scheinen Konsumgüter immer wichtiger zu werden, um der Besonderheit eines Menschen Ausdruck zu verleihen.“

„Wir sind, was wir haben. Die tiefere Bedeutung der Dinge für unser Leben“ von Annette Schäfer. DVA, 248 Seiten, € 20,60

 

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