Archiv des Autors: OL

Über OL

Oliver Lehmann schreibt Texte und Kontexte in Form von Reportagen, Büchern, Moderationen, Konzepten und Notizen. Für sich und andere. Auf Deutsch. And in English.

11|10|07: Altösterreich – Die Monarchie in Wort und Bild

Es war ein Werk, dessen Maßlosigkeit dem Objekt der Beschreibung entsprach: Mit der 24-bändigen Enzyklopädie „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ sollte das Kaiserreich systematisch in all seinen Aspekten vorgestellt werden. Als „Kronprinzenwerk“ zwischen 1886 bis 1902 veröffentlicht ist es bis heute eine ebenso aussagekräftige Dokumentation der Länder und Völker wie letztlich des Unvermögens, diesem Staatengebilde eine moderne Form zu geben. Hans Petschar eröffnet mit „Altösterreich“ einen Einblick in dieses Opus Magnum. Zwischen Folklore und Ethnologie angesiedelt ermöglicht der Band eine Erkundung des unendlich vielfältigen Gemeinwesens, das letztlich wegen der Unfähigkeit seiner Herrscher seine Legitimation verlor.

„Altösterreich“ von Hans Petschar, Brandstätter Verlag, 254 S., Euro 39,90

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11|10|02: Mit Charme und Lavendel

Die deutsche Ausgabe von National Geographic präsentiert in der Serie „Das gute Beispiel“ Menschen, die ökologische Utopien wahr werden lassen. Für die Oktober-Ausgabe 2011 wurde ich eingeladen, die Hotel-Chefin Michaela Reitterer zu porträtieren, die in Wien das weltweit erste Hotel mit Null-Energie-Bilanz entwickelt und 2009 eröffnet hat.

National Geographic Deutschland, Oktober 2011

Mit Charme und Lavendel

Unsere Welt kann nur dann dauerhaft lebenswert bleiben, wenn wir uns am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren. Wir stellen Menschen vor, die ökologisch, ökonomisch oder sozial nachhaltig handeln. Vorbilder wie Michaela Reitterer, die mitten in Wien das weltweit erste Hotel mit Null-Energie-Bilanz führt.

Michaela Reitterer im Lavendelfeld auf dem Flachdach ihres Hotels / Foto: Peter Rigaud für National Geographic

Michaela Reitterer im Lavendelfeld auf dem Flachdach ihres Hotels / Foto: Peter Rigaud für National Geographic

Hotels rühmen sich gemeinhin ihres Komforts, ihrer Sauberkeit und ihrer Lage. Das „Boutique Hotel Stadthalle“ aber heißt seine Gäste auf der Stirnwand des Foyers in großen Lettern „herzlich willkommen im weltweit ersten Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz“. Das muss man sich trauen. Doch an der Rezeption haben Dora, Stefania und Monika an einem heißen Juli-Nachmittag alle Hände voll zu tun. Gerade sind zwei Familien und eine Gruppe von Freunden eingetroffen. Sie erhalten Keycards, einen Hinweis auf die Fahrradgarage und die Aussicht auf Rabatt: Wer mit Bahn oder Rad anreist, spart zehn Prozent.

Die Frau, die mit dem Charme eines TÜV-Verfahrens für ihr Hotel wirbt, ist Michaela Reitterer, die Direktorin und Eigentümerin. Im Wiener Dialekt würde sie eine „fesche Gretl“ heißen: Sie ist attraktiv, trägt semi-legeren Business-Dress, Modeschmuck aus dem letzten Urlaub und am Handgelenk die sportive Uhr einer Nobelmarke. Flott gesprochen könnte man auch „resche Gretl“ hören. Das bedeutet – höflich formuliert – eine durchsetzungsfähige Persönlichkeit, die sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt: «Ich hab in den letzten Jahren so oft gehört: ‹Das geht nicht.› Wenn ich das ernst genommen hätte, wäre ich nicht dort, wo ich heute bin.» Nämlich im Zentrum der Aufmerksamkeit von ökologisch interessierten Kollegen – «Grad hab ich acht Hoteldirektoren aus China da g’habt.» –, Touristikern und Stadtplanern. Ihr Hotel steht auf den Reiseplänen von gut 15000 Gästen pro Jahr, die ihm zu 44000 Übernachtungen in 80 Zimmern mit 147 Betten verhelfen. Auslastung: 82 Prozent. Weiterlesen

11|09|08: Eierlikör in Alpbach

Universum Magazin, September 2011

Eierlikör in Alpbach

Die Technologiegespräche präsentieren sich einmal mehr als unsortiertes Themenbüschel – mit bemerkenswerten Knospen und Blüten.

Alpbacher Arbeitsplatz

Das Jahresmotto des Europäischen Forums Alpbach ist üblicherweise von stuppender Schlichtheit, intellektuell irgendwo zwischen Schulaufsatz und Regierungserklärung angesiedelt. Der diesjährige Titel („Gerechtigkeit – Verantwortung für die Zukunft“) bildete da keine Ausnahme. Das ist zum einen der an sich nicht zu bewältigenden Aufgabe geschuldet, ein Themenbüschel subsummieren zu müssen, das den chinesischen Städtebau genau so umfasst wie die österreichische Vorsorgemedizin und die innenpolitischen Umwälzungen in Liechtenstein. Der zweite Grund für die holzschnittartige Kargheit des Mottos, die den Figuren in den Weihnachtskrippen der Tiroler Stuben gut ansteht, ist seine Irrelevanz: Jeder Vortrag, jeder Arbeitskreis der zwischen Mitte August und Anfang September abgehaltenen insgesamt 15 Blöcke dient vor allen anderen Dingen im günstigsten Fall der Unterhaltung, im seltenen Fall sogar der Aufklärung des jeweiligen Zielpublikums, und nicht der Herstellung eines überspannenden Themengeflechts. Mehr als drei Tage in Folge ist praktisch kein Gast anwesend, das veranstaltende Personal und einige außerordentlich hartgesottene JournalistInnen ausgenommen.

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11|09|07: Selbst ist der Mensch

Kein Organ ist in den letzten 50 Jahren so intensiv erforscht worden wie das Gehirn. Das hängt grob gesagt mit zwei auf den ersten Blick widersprüchlichen Motiven zusammen: Neurologen und PsychiaterInnen können dank der ständig weiter entwickelten Diagnose- und Visualisierungsmethoden immer exaktere Einblicke in das agierende Gehirn nehmen. Aber letztlich dienen all diese extrem aufwendigen  Methoden der Beantwortung der einen, uralten Frage: Was ist der Geist, der den Menschen von der – zum Beispiel – Meeresschnecke unterscheidet, anhand der Eric Kandel den Lernprozess zum ersten Mal sichtbar gemacht hat? Antonio Damasio gelingt es in seinem neuen famosen Buch, diese beiden Motive zu vereinen, und zwar weil er einer der bedeutendsten Neurowissenschaftler der Gegenwart ist und gleichzeitig nachvollziehbar über sein Forschungsfeld schreiben kann. In seinem aktuellen Werk widmet er sich der zentralen Frage: Wie entsteht Bewusstsein? Mit seiner Antwort erklärt Damasio, wie der Mensch zum selbstbewussten Wesen wurde und dabei Fähigkeiten wie Sprache, Kreativität und Moral entwickelte.

„Selbst ist der Mensch“ von Antonio Damasio, Siedler Verlag, 368 Seiten, Euro 25,70

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11|09|01: Bissiger Hundebesitzer

Am Donnerstag, den 1. September fahre ich um 18.30 mit meinem Fahrrad auf dem (neu ausgewiesenen) Radweg entlang des Rings von der Operngasse Richtung Babenbergerstraße. Auf der Höhe des Hotel Le Meridien kommt mir ein Mann entgegen: Mitte 50, 175-180 cm, blauer Leinenanzug, helles Hemd, graues Haar, kleine Brillenfassung in Schwarz, eine Leine aus Leder und Kettengliedern über die Schulter gelegt. Neben ihm ein grauer Jagdhund – ein Weimaraner – von rund 80 cm Höhe, dementsprechend ohne Leine.  Der Mann schreit mich an: „Das ist kein Radweg, das ist ein Fußweg.“ Ich rufe ihm zu: „Sie irren sich.“ Der Mann holt mit seiner Leine aus und schlägt nach mir. Er verfehlt mich zwar, trifft aber das Rücklicht, das dadurch aus der Halterung gerissen wird. Ich bleibe stehen, um das Rücklicht aufzuheben, und lehne das Rad an einen Verteilerkasten. Der Mann kommt auf mich zu, hebt die rechte Hand und versucht wieder mit der Leine auf mich einzuschlagen: „Was willst Du? Schau, dass Du wegkommst.“ Ich hebe meine Arme und meinen linken Fuß, um seine Schläge abzuwehren; der Hund beißt mich währenddessen in den rechten Oberschenkel. Ich rufe: „Aus, er soll mich loslassen“. Der Mann brüllt weiter: „Du wirst mich kennenlernen.“ Der Hund lässt von mir ab und der Mann geht in jene Richtung, aus der er gekommen ist, also zurück Richtung Babenbergerstraße.

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11|08|06: Wiener Parks, Wiener Gärten

Ernst Molden („Wien Mitte“) im Freizeit Kurier (6.8.2011): „Oliver Lehmann zählt in seinem hervorragenden Buch ‚Wiener Parks, Wiener Gärten‚ eine halbe Million Parkbäume und 100.000 Alleebäume auf. Auch für Sie ist da was dabei. Ein anständiger Park macht mit dem erschöpften Menschen nämlich etwas ziemlich Tolles: Tabula Rasa in kürzester Zeit.“

11|07|28: Drei Wochen Urlaub (für wen auch immer)

„Wie lange sind fünf Stunden?“ – „Woher soll ich wissen, wo meine Zahnspange ist?“ – „Ohne Geschirrspüler?“ – „Ich weiß schon, warum ich vorgestern die Tasche mit dem feuchten Handtuch und den Seeigeln nicht ausgeräumt habe. Ich hab meinen Nintendo aufladen müssen.“ – „Was ist der Code für Dein iPhone?“ – „Aber ich muß auf Facebook“ – „Ich weiß nicht, wo meine Badeschuhe sind. Ich hab sie ja nicht weggeräumt.“ – „Wozu ist die Bürste neben dem Klo nochmal da?“ –  „Und die ganzen Ameisen in meinem Bett sind nur da wegen dem Wurstbrot von gestern?“ – „Ah, das sind die Cornflakes, die so stinken. Ich hab geglaubt, das sind meine Füße.“ – „Wie, mit Seife? Und Shampoo?“ – „Also ich hab die Spielanleitung nicht zum Altpapier gegeben.“ – „Ok, ich hab die Schuhe über Nacht im Regen stehen lassen. Aber dafür sind sie jetzt sauber.“ – „Das ist erst die dritte DVD, die wir uns anschauen.“ – „Wie? Mathebuch. Welches Mathebuch?“ – „Und gehen müssen wir auch?“ – „Wir wollten eh, aber der Nachbar hat gefragt, ob wir erst ab 17 Uhr Basketball spielen können, weil er grad eine Gehirnoperation gehabt hat.“ – „Warum soll mir von einer Stange Salami schlecht werden?“ – „Das ist halt so, dass mir das Cola durch die Nase kommt, wenn ich lachen muß.“ – „Nein, ich hab keine andere Sorgen als meine Frisur.“ – „Du kannst das T-Shirt am Boden liegen lassen, ich zieh es eh wieder morgen an.“ – „Ich weiß auch nicht, warum ich keine sauberen Unterhosen mehr habe.“ – „Ich brauch ein neues Tauchermesser, mein altes ist rostig.“ – „Was heißt Apfeltasche auf Slowenisch?“

11|07|21: Im Wald der Metropolen

Die Verdienste des Karl-Markus Gauß sind mannigfaltig, seine Entdeckungen literarischer und linguistischer Natur verblüffend. Mit seinen Expeditionen zu untergehenden Ethnien (zB „Die sterbenden Europäer„) und hoffnungslos marginalisierten Minderheiten (zB „Die Hundeesser von Svinia„, Bild) hat Gauß die letzten Spurenelemente vormals vorhandener Vielfalt Europas dokumentiert – und somit das offiziöse Bekenntnis zu dieser Vielfalt als Heuchelei enttarnt. Auch die Art seiner Erkundungen verdient Anerkennung: Der Zeit weist Gauß eine subalterne Rolle zu.   Weiterlesen

11|07: Gefaltete Singvögel

Auch im Buchmarkt greift die Konformität um sich, statt Novitäten setzen die Großverlage auf Innovationen. Der Weinviertler Verleger Ulrich Winkler-Hermaden widersetzt sich mit Nachdruck und Nachdrucken bibliophiler Trouvaillen diesem Trend. Der „Schmetterlingsatlas“ und „Die häufigsten vorkommenden einheimischen Singvögel“ sind zwei besonders schöne Beispiele seiner verlegerischen Leidenschaft. 1900 im Original erschienen sind die als Leporellos gestaltete Nachschlagewerke um einiges handlicher als die allermeisten Service-Bände mit eingeschweißter DVD inklusive App zum Download. Und schöner sind die Kollektionen wunderschöner Aquarelle sowieso. Ausdrücklich zum Erwerb empfohlen.

„Singvögel“ und „Schmetterlinge“, Edition Winkler-Hermaden, jeweils 24-seitiges Leporello mit Begleitheft, Euro 14,95

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