Erstmals wird im Medienförderungsgesetz Wissenschaftsjournalismus als Kriterium angeführt. Damit wird eine langjährige Forderung des Klubs der Wissenschaftsjournalist:innen erfüllt. Wie konnte es dazu kommen? Und was hat das für Konsequenzen?
Von Oliver Lehmann
Im Jahr 2013 Jahren stellte der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen die Ergebnisse einer Studie zur Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungssituation österreichischer WissenschaftsjournalistInnen vor. Der traurige Befund von damals ist noch immer gültig. Als eine der Forderungen zur Verbesserung der Situation formulierte ich als damaliger Klubvorsitzender: „Die Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen im Kontext der Medienförderung zu schaffen, die Bildungs- und Wissenschaftsberichterstattung zur Voraussetzung für die entsprechenden Förderungen machen.“
Zehn Jahre später wird diese Forderung dem Wortlaut nach erfüllt und die Wissenschaft als Förderkriterium ergänzt. Details dazu finden sich in der Aussendung des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen. Demnach muss ein förderungswürdiges Universalmedium „seinem Inhalt nach vorwiegend der redaktionell aufbereiteten Information und Meinungsbildung über die Bereiche Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Ethik, Wissenschaft und Forschung sowie Sport dienen“.
Der zweite Teil unserer Forderung, nämlich Redaktionen mit einer zusätzlichen Förderung für angestellte Wissenschaftsredakteur:innen auszustatten, wurde nicht erfüllt. Beim Geld hört sich der Spaß auf. Trotzdem ist die Novelle ein Grund zur Freude. Die Wissenschaft hat sich zumindest auf dem kleinen Teilgebiet der Medienförderung ihren Platz am Tisch des gesellschaftlichen Diskurses erkämpft.
Klar, Verleger:innen und Medienmanager:innen können den Passus auch nur pro forma erfüllen und Presseagentur-Texte einrichten, Info-Partikel aus dem Internet klauen oder gleich Artikel von ChatGPT formulieren lassen. Aber sie werden sich erklären und nervigen Fragen stellen müssen. Oder Verleger:innen und Medienmanager:innen erkennen, dass Journalismus ohne Wissenschaft heute nicht mehr funktioniert, weil die zentralen Fragen der Gegenwart (hier nur vier Vorschläge: Klima, Digitalisierung, Demografie und Mobilität) nur mit einem Überblick über die Wissenschaft, ihre Erkenntnisse und ihre Prozesse beantwortet und dem zahlenden Publikum erklärt werden können.
Zwischen der Präsentation der Studie und dem neuen Gesetz liegen unzählige Gespräche, Briefe, Diskussionen und Vorsprachen bei allen mit der Sache betrauten Minister:innen. Alle sechs Wissenschaftsminister:innen (mit einer Ausnahme von der ÖVP bestellt) seit 2013 unterstützten unser Anliegen explizit, verwiesen uns aber zur Umsetzung an die Finanzminister (alle ÖVP) und die mit Medienagenden befassten Kanzleramtsminister:innen (zwei Mal SPÖ, dann ÖVP), die uns mit zum Teil haarsträubenden Argumenten auflaufen ließen.
Warum ist es trotzdem gelungen, die Wissenschaft als Förderkriterium zu etablieren? Eine Analyse könnte Hinweise darauf geben, wie ähnlich gelagerte Fragen (nicht nur aus der Welt der Wissenschaft) gesellschaftlich und politisch thematisiert werden können.
• Konsequente Argumentation: So gut wie alle unsere Wortmeldungen seit 2013 basierten auf der oben erwähnten Studie, die das Medienhaus Wien nach allen Regeln wissenschaftlicher Unabhängigkeit für den Klub durchgeführt hatte. Meines Wissens war es das erste Mal in Österreich, dass ein journalistisches Segment eine Untersuchung über den eigenen Sektor in Auftrag gegeben hatte. Bei aller Heftigkeit der Diskussion wurden in dem folgenden Jahrzehnt nie die grundlegenden Argumente in Frage gestellt. Diese sichere Ausgangsbasis stellte das Fundament dar, auf dem alle weiteren Aktivitäten beruhten.
• Organisatorische Beharrlichkeit: Ich hatte einige Themen der Studie zur Basis meiner Bewerbung als Klubvorsitzender gemacht. Nachdem ich 2018 den Klubvorsitz an Eva Stanzl übergeben hatte, hat sie das Thema der Medienförderung konsequent weiter kommuniziert – und zwar nach außen an die entsprechenden Menschen mit Entscheidungsgewalt und an die scientific community sowie nach innen an die Klubmitglieder. Es war immer wieder notwendig, die Fortschritte (und die Rückschläge) zu vermitteln und an den Zweck der Übung zu erinnern. Indem Eva Stanzl dieses Thema als cetero censeo bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie der Vorstellung der „Wissenschaftler:innen des Jahres“ oder beim Eisstockschießen anführte, kommunizierte sie den Klubmitgliedern, dass die Medienförderung eng mit den Grundprinzipien des Klubs zusammen hing. Damit wurde eine außen erkennbare Einheitlichkeit und Dringlichkeit vermittelt.
• Passendes Zeitfenster: Die oft zitierte Eurobarometer-Umfrage von 2022 unterscheidet sich nicht wesentlich von der Umfrage aus 2010: Österreich rangiert in Sachen Wissenschaftsverständnis auf den hinteren Rängen. Doch die Corona-Pandemie hat die verheerenden Konsequenzen von Wissenschaftsfeindlichkeit deutlich gemacht – und in den politischen Diskurs eingebracht. Plakativ formuliert: Es war zuletzt ein bisserl peinlich, sich ignorant zu geben und der Wissenschaft die Anerkennung zu versagen. Wie schnell sich solche Zeitfenster schließen, lässt sich derzeit (März 2023) daran erkennen, wie die FPÖ in Niederösterreich die ÖVP Niederösterreich zum Offenbarungseid zwingt. Der FPÖ geht es dabei erkennbar nicht um Aufarbeitung zweifellos existierender Defizite bei der Pandemiebekämpfung, sondern um die Delegitimierung von evidenz-basierter Politik. [1]
• Breite Unterstützung: Meines Wissens ist es erstmals in Österreich gelungen, die komplette scientific communityund alle im weitesten Sinne mit Wissenschaft befassten Interessensgruppen für die Unterstützung eines solchen gesetzlichen Anliegens zu gewinnen. Von der ÖH über uniko, FHK, PUK, FWF, AIT, ÖAW, ISTA bis zu AK, IV und Verlegerverband reicht der Bogen der Unterstützer:innen.[6] Solche Netzwerke entstehen nicht über Nacht, sondern müssen recherchiert, entwickelt und gepflegt werden. Wesentliche Vorübungen waren regelmäßige persönliche Einladungen des Klubs, der Wiener March for Science 2017 und der jährlich wiederkehrende Wiener Ball der Wissenschaften; die so gewonnenen Kontakte konnte das Lobbying-Team des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen nutzen. Ein bisserl Glück muss man auch haben: Anton Zeilinger erläuterte bei jeder öffentlichen Gelegenheit im Herbst 2022 nach Bekanntgabe der Nobelpreisverleihung an ihn, wie unverzichtbar Wissenschaftsjournalismus und seine Förderung sei.
• Mögliche Irrelevanz: Vielleicht mag auch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, dass es eh egal sei, ob nun Wissenschaft als Förderkriterium angeführt wird, weil das Erlösmodell klassischer Medien ohnehin extrem brüchig geworden ist und Wissenschaftsjournalist:innen bald aus den Redaktionen verschwinden werden. Das hat was für sich, der aktuelle Befund (siehe die Einstellung der Wiener Zeitung, die zeitgeleich mit dem Medienförderungsgesetzt bekannt gegeben wurde) spricht dafür.
Und doch ist die Schadenfreude zu kurz gedacht: Vieles deutet darauf hin, dass für den Erfolg von Online-Medien mit Bezahlschranken die Etablierung und Pflege von Wissenschaftsredaktionen mit ausschlaggebend sind, siehe Falter und Die Zeit. Medienunternehmen, die mit der Qualität ihres Journalismus werben, können sich darauf verlassen, dass die Quellen der Wissenschaftsberichterstattung im Regelfall bereits auf Herz und Nieren (sprich durch peer review Verfahren) geprüft worden sind, bevor sie als verständlich formulierte Texte im Redaktionssystem und auf den screens der Kundschaft landen.
Die Novelle im Medienförderungsgesetz könnte dazu beitragen, diese Überlegungen in der Medienbranche und damit den redaktionellen Wissenschaftsjournalismus zu stärken. Immerhin.
[1] Die Tatsache, dass nicht nur single issue Bewegungen sich mit Wissenschaftsfeindlichkeit schmücken, sondern auch sehr nachdrücklich die FPÖ mag auf den ersten Blick bestürzend wirken. Mit etwas Abstand betrachtet lässt sich aber analysieren, dass diese kurzfristigen politischen Profiteure der Wissenschaftsfeindlichkeit die für sie schädliche Wirkungsmacht wissenschaftlichen Denkens erkannt haben, die deren auf Emotion, Irrationalität und Menschenverachtung basierenden Aktivitäten langfristig betrachtet den Boden entziehen können – vorausgesetzt die Antwort auf die Wissenschaftsfeinde ist einheitlich, klar, verständlich und kontinuierlich.
[2] Und sollte ich jemanden vergessen haben, bitte um Nennung zwecks Korrektur.