Das Cover der Falter-Ausgabe 10/22 hat heftige Reaktionen ausgelöst. Ich habe mir in einem Leserbrief überlegt, warum.
Das Falter-Cover ist kein schöner Anblick, weil es ein schöner Anblick ist. Die heftigen Reaktionen dokumentieren, dass das Bild nach den Maßstäben der Covergestaltung „funktioniert“. Es kondensiert ein unfassbares Thema zur unmittelbaren Verständlichkeit. Ein einziger Blick reicht, um die Geschichte zu erfassen. Diese Geschichte wollen wir nicht hören, weil sie von Krieg und Zerstörung handelt, und von dem möglichen Tod des abgebildeten Paares. Der Reflex ist nachvollziehbar, aber er hilft nicht bei der Analyse.
Mit Abstand betrachtet: Das Bild ist in der Metaphorik des Krieges ein Hinterhalt. Wo sonst Soldaten in Camouflage, Zivilistinnen mit Verbänden, feuernde Geschütze oder rauchende Ruinen uns Betrachter:innen beim ersten Blick emotional in Deckung gehen lassen, lassen wir uns beim Cover-Bild einen Augenblick länger auf das Motiv ein: zwei schöne, junge Menschen, denen wir ein langes und glückliches Leben wünschen, die die Erinnerung an uns selber in dem Alter wecken, die uns an unsere eigenen Kinder denken und dann hoffen lassen, dass sie nie in eine solche Situation gezwungen werden. Und während wir uns auf diese Emotionen einlassen, erwischt uns das Bild, weil wir diesen einen Augenblick lang aus der Deckung gegangen sind.
Die Scham und der Schmerz in diesen Hinterhalt getappt zu sein, wandelt sich in Zorn auf das Cover, auf das Medium, auf das Bild und auch auf das Paar. Die Verhöhnung als Models in einem Modemagazin bezweckt die Distanzierung, um den Anblick erträglich zu machen. Wir wollen nicht wahrhaben, was nicht weit von uns passiert. Das Bild hat seine Aufgabe erfüllt, nämlich jene Verstörung zu erzeugen, denen Menschen im Krieg ausgesetzt sind.