Editorial des Ballmagazins 2020
Politiker*innen und Wissenschafter*innen gingen einander lange aus dem Weg sehen wir von Ausnahmen wie der Chemikerin Margaret Thatcher, der Physikerin Angela Merkel oder dem Biologen Michael Häupl ab. Meist ist gerade die Grundlagenforschung einfach zu kompliziert, als dass sie sich in die schnelle und oft überhitzte Sprache der sozialen und klassischen Medien, gar im Wahlkampf, übertragen ließe.
Lange also hielten die beiden Welten diesen Respektsabstand ein, zumindest in der Öffentlichkeit. Seit ein paar Jahren lässt sich eine Veränderung feststellen. Der „March for Science“ 2017, den wir als Ball-Team in Wien als eine von 600 derartigen Demonstrationen weltweit organisiert haben, war ein deutliches Zeichen für diesen Wandel. Der aktuelle Anlass ist der vom Menschen verursachte Klimawandel, der in manchen Weltgegenden (siehe Australien) der Gesellschaft nicht mehr nur unter den Fingernägeln brennt. Immer mehr Wissenschaftler*innen gehen in die Öffentlichkeit, um Gesellschaft, Wirtschaft und Politik auf die Konsequenzen ihres Handelns und Unterlassens hinzuweisen – und werden bisweilen vom Gegenwind überrascht.
Es stimmt schon: Im Elfenbeinturm hoch über dem Lärm des Alltags lässt sich trefflich in Ruhe nachdenken. Aber spätestens wenn am Horizont die Flammen der Irrationalität sichtbar werden, ist es Zeit zu handeln, selbst auf das Risiko hin, sich in heftigen Diskussionen wiederzufinden. Will die Wissenschaft einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten, kann sie sich vor solchen Debatten nicht mehr drücken: „Wir müssen uns noch intensiver streiten“, forderte unlängst Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (Die Zeit, 52/2019), und zwar nicht nur über das Klima, sondern auch über so kontroverse Themen wie Embryonenforschung, Gentechnik, Tierversuche und (gerade in Österreich) Atomkraft.
Die globale Bewegung „FridaysForFuture“ beruft sich explizit auf die Gelehrten als Bündnispartner*innen, wenn Aktivist*innen wie das Medienphänomen Greta Thunberg feststellen: „Hören Sie nicht auf mich. Hören Sie auf die Wissenschaft“ (Washington Post, 19.9.2019). Doch werden damit auch die Forscher*innen aufgefordert, Stellung zu beziehen und den öffentlichen Diskurs zu führen. Auf dem 6. Wissenschaftsball ermöglichen wir diese Vernetzung durch unsere Kooperation mit der österreichischen Sektion von „FridaysForFuture“, die möglichst viele „ScientistsForFuture“ gewinnen will. Die vielleicht eindringlichste Aktion ist die Postkarte an sich selbst, auf der man es Greta gleichtun, seine Klimavorsätze für das Jahr 2020 festhalten und sich damit selber in die Pflicht nehmen kann. Wir sammeln die Postkarten und verschicken sie am Jahresende an die ursprünglichen Absender*innen, die dann für sich die Frage beantworten können: „Was habe ich in diesem Jahr persönlich getan?“
Dieser Diskurs bildet übrigens nicht nur die Grundlage für eine Bewältigung (oder zumindest Handhabung) der Klimakrise. So sehr wir uns über die Etablierung der Central European University in Wien und ihrer Teilnahme am Wissenschaftsball freuen, so klar sollten wir uns machen, dass dieser Umzug nach Favoriten das Resultat eines in der EU bislang einmaligen Willkürakts eines gezielt totalitär agierenden Regimes ist. Martin Stratmann verdeutlicht den Zusammenhang zwischen guter, weil freier Forschung und liberalem Gemeinwesen: „Wissenschafts-, Meinungs- und Pressefreiheit gehören eng zusammen. Wo die freie Meinungsäußerung in Gefahr ist, Journalisten nicht frei berichten könne, da ist auch meist die akademische Freiheit bedroht.“
Schützen wir also das Klima der Natur – und damit jenes der offenen Gesellschaft.