18|04|13: Václav Havel

Anfang April erreichte mich ein Mail, das Tereza Johanidesová, eine Mitarbeiterin der Václav-Havel-Bibliothek in Prag, ursprünglich an Monika Czernin gerichtet hatte, die dann das Schreiben an mich weiterleitete.

Monika und ich reisten zu Pfingsten 1989 als Touristenpaar getarnt nach Prag, um Texte und Radiobeiträge über junge Oppositionelle für tageszeitung, Falter und Ö1 zu recherchieren. Während unseres Aufenthalts erfuhren wir zufällig von der Freilassung Václav Havels aus dem Gefängnis. Der Kopf der Opposition war im Februar 1989 zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Im Mai wurde er vorzeitig und überraschend entlassen. Es sollte Havels letzte Haftsstrafe sein, bevor das kommunistische Regime im November 1989 durch die Samtene Revolution gestürzt und Havel Präsident wurde.

Mit beider Einverständnis veröffentliche ich hier den Schriftverkehr in unwesentlich redigierter Fassung mit Links zu den Scans der erwähnten Texte. Das Mail von Tereza Johanidesová ermöglichte mir eine Begegnung mit meinem fast 30 Jahre jüngeren alter ego. Dafür vielen Dank an Tereza.

 

Die Fotos stammen aus einer Ausstellung des Prager DOX – Centrum současného umění (Zentrum für zeitgenössische Kunst) im Jahr 2017

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Sehr geehrte Frau Czernin,
in der Václav-Havel-Bibliothek arbeiten wir an dem Projekt „Die Gespräche mit Václav Havel bis 1989“ und ich habe in der Ausgabe der tageszeitung von 5. 6. 1989 ein Interview mit Václav Havel gefunden (im Anhang). Als Redakteure dieses Interviews sind Sie und ihr Kollege Oliver Lehmann angegeben. Könnten Sie mir bitte ein paar Worte über die Umständen Ihres Treffens und Interviews mit Václav Havel schreiben? Ihre Erinnerung hilft uns, die Verbindungen und die Kontakte zwischen ausländische (westlichen) Journalisten und Havel in der totalitären Tschechoslowakei zu erklären. Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Tereza Johanidesová
Dokumentační centrum, Knihovna Václava Havla, o.p.s.
Ostrovní 13, 110 00 Praha 1

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Liebe Tereza Johanidesová,

danke sehr für Ihr Interesse. Für mich und meinen Kollegen Oliver Lehmann – den ich hier in cc setze, vielleicht will er noch eigene Erinnerungen ergänzen – war dieses Interview ein Meilenstein in unserer Karriere.

Wir hatten uns damals schon eine ganze Weile lang auf eine Reportage über die Leute der Charta 77 und die jüngeren Oppositionsgruppen in der ČSSR vorbereitet und in Wien im Umkreis des IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) Kontakte zu Oppositionellen geknüpft, insbesondere zu Dana Nemcová.

Ich glaube, es war tatsächlich am Abend vor der Abreise, als wir erfuhren, dass Václav Havel aus dem Gefängnis entlassen worden ist, ganz plötzlich, zumindest bei uns ahnte das niemand. Wohl über Dana Nemcová haben wir dann tatsächlich sofort einen Interview-Termin bekommen. Bei seiner Wohnung angekommen, haben wir versucht, möglichst unbemerkt ins Haus zu gelangen, denn auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Auto der Staatssicherheit. Václav Havel, das merkten wir beim Gespräch sofort, wusste genau, wer was von wo mithört. Umso mehr hat uns seine Offenheit und sein Mut erstaunt. Der Eindruck, den das Gespräch hinterließ, war unvergesslich. Die große Ruhe, Konzentriertheit, sein Ernst und sein durch jedes Wort schimmerndes Engagement sind mir bis heute lebendig in Erinnerung.

Herzliche Grüße

Monika Czernin

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Liebe Tereza Johanidesová,

Ich ergänze Monikas Wahrnehmungen um ein paar Aspekte. Wir haben uns in Prag auf Empfehlung von Karel Schwarzenberg mit Menschen aus dem Umfeld der Rockband „Plastic People of the Universe“ getroffen. Möglich, dass von ihnen der Hinweis auf die unvorhergesehene Freilassung Havels kam.

Ich habe kein Auto in Erinnerung, sondern einen Bauwagen wie für eine Baustelle, nur dass da keine Baustelle war. Außerdem meine ich mich zu erinnern, dass der Bauwagen verspiegelte Scheiben hatte, was etwas eigenartig war. Wir haben das Gespräch auf Englisch geführt, wobei Havel von seiner Frau Olga unterstützt wurde.

Das Interview wurde übrigens auch in der Wiener Stadtzeitung Falter abgedruckt, für die Monika (als freie Mitarbeiterin) und ich (als Redakteur) damals tätig waren. Das Abdruck in der taz wurde (meine ich) dann von der Associated Press übernommen.

In Ergänzung zu Monikas Eindrücken erinnere ich mich, dass wir uns bei Havel, der recht erschöpft aussah (aber ständig geraucht hat), für das uns gewährte Interview bedankten und meinten, die Zeit im Gefängnis sei wohl ziemlich anstrengend gewesen. Er sagte (sinngemäß): “Das Gefängnis war gar nicht so schlimm. Aber das Trinken und Feiern, seitdem ich entlassen wurde, war richtig anstrengend.“

Die Tonband-Kassette mit dem Interview hab ich auf dem Klo im Zug versteckt. Unser Gepäck wurde aber nicht besonders intensiv durchsucht.

Eine Coda: Als ich im Sommer 1989 mit meinem BRD-Paß ein Visum bei der tschechoslowakischen Botschaft in Wien für eine neuerliche Reise in die ČSSR beantragt habe, wurde der Antrag samt erheblichen Gebühren (vielleicht öS 500, also ca € 65) zwar entgegengenommen, nach ein paar Tagen aber ohne Visum (und ohne Erstattung der Gebühren) wieder retourniert. In dem Paß war ein Stempel mit einem unbefristeten Einreiseverbot. Mit diesem Paß und Stempel bin ich kurz nach der Samtenen Revolution im November oder Dezember 1989 problemlos in die ČSSR eingereist. Der Grenzbeamte hat zwar etwas gezögert, aber den Stempel dann einfach ignoriert.

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Lehmann