18|02|27: „Bring me Edelweiß“

Mein Beitrag im Magazin des 5. Wiener Balls der Wissenschaften. Hier entlang zur kompletten Ausgabe als pdf.

Widerborstiges Symbol

Das Edelweiß lockt als Logo, entzieht sich aber den simplen Vereinnahmungen.

Lange blühte das Edelweiß im Verborgenen der heimischen Bergwelt. Das Wissen um seine Qualität als Heilkraut blieb den BewohnerInnen der alpinen Täler vorbehalten. Erst mit der Entdeckung der kommerziellen Verwertbarkeit der alpinen Landschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Tourismus wurde auch die pittoreske Pflanze als Symbol identifiziert. Es ist hübsch anzusehen und auch ohne Farbdruck gut, weil monochrom darstellbar. Und so tauchte es im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts als Logo des Deutschen und des Österreichischen Alpenvereins auf und wurde eine beliebte Sammlertrophäe für BergsteigerInnen, weil sie auch Jahre nach dem Pflücken ihre Form und Farbe behält und sich am Wanderhut so gut macht. Das Resultat: Der Bestand war binnen kürzester Zeit gefährdet, weswegen die Pflanze bereits 1886 unter strengen Naturschutz gestellt werden musste. Von den Alpenvereinshütten war es ein kurzer Weg in die Kasernen der Gebirgstruppen der k. u. k. Armee wie der Kaiserschützen. 1907 erfolgte die Genehmigung, ein silberfarbenes Edelweiß am Uniformkragen zu tragen.

Österreichische Identität

Der Hochgebirgskampf des Ersten Weltkriegs an der österreichisch-italienischen Front tat ein Übriges, um das Edelweiß zu popularisieren. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie schmolz Österreich auf ein eigenartiges dualistisches Konstrukt zusammen. Auf der einen Seite die immer noch kosmopolitisch geprägte Hauptstadt, auf der anderen die primär agrarisch und alpin geprägten Bundesländer. Der Konflikt ließ nicht lange auf sich warten. Die Provinzialisierung der Metropole wurde zum Programm: »Wien am Gebirge«, spottete Anton Kuh in Anspielung an den Vorort Brunn am Gebirge. Die Nelke symbolisierte das Rote Wien, das Edelweiß die Bergwelt. Es wurde in das Zentrum der wackeligen österreichischen Identität umgetopft.

Den Höhepunkt dieses Konflikts zwischen Stadt und Land bildete der Bürgerkrieg 1934, maßgeblich initiiert vom ehemaligen Kaiserschützen und Bundeskanzler Engelbert Dollfuss. Bei seiner sogenannten Trabrennplatzrede im September 1934, in der er das Programm des autoritären Ständestaats postulierte, trug Dollfuss seine Weltkriegsuniform, am Kragen das Edelweiß.

Die Symbolik der Haltbarkeit dürfte (neben der guten Darstellbarkeit) ausschlaggebend gewesen sein, dass das Edelweiß so beliebt als Motiv auf Münzen war. Das Edelweiß zierte (als Kranz) die 10-Groschen-Münze von 1928 und die älplerische Maid auf dem 100-Schilling-Schein von 1936. Das Motiv erwies sich als derart anschlussfähig, dass 1939 die deutsche Reichsbank das Sujet für den 20-Mark-Schein übernahm. 1959 wucherte ein Buschen auf der 1-Schilling-Münze der Zweiten Republik, 2002 erblühte nach der Euro-Umstellung ein Einzelexemplar auf der 2-Cent-Münze.

Die, dem Edelweiß zugeschriebene Ausdauer und seine Beständigkeit unter widrigen Umständen mögen dazu beigetragen haben, dass im NS-Regime jugendliche Widerstandsgruppen fernab der Bergwelt die Symbolkraft der Pflanze nutzten. Die Edelweiß-Piraten entwickelten sich aus Bewegungen wie der Bündischen Jugend, aus katholischen Gruppen und sozialdemokratischen Naturfreunden. Ursprünglich in Köln entstanden, registrierte die Gestapo 1942 an die 3.000 Mitglieder im westdeutschen Raum bis hinein in das Ruhrgebiet, aber auch in Leipzig. Von den Behörden verfolgt, verhaftet, verurteilt und in KZs und Strafbataillone gesteckt, diente ihnen ein gesticktes Edelweiß unter dem linken Revers als Erkennungszeichen.

»Bring Me Edelweiß«

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Fremdenverkehrswerbung, die sich der Strahlkraft der Hochgebirgspflanze erinnerte. Die Schweiz nutzt ihr Potenzial in der Tourismuswerbung seit Jahrzehnten (und zählt man »Asterix in der Schweiz« auf der Suche nach dem heilenden Edelweiß dazu seit Jahrtausenden). Beispiele wie die eleganten Sujets für den Edelweiß-Express zwischen Amsterdam und Zürich oder das Logo von Schweiz Tourismus illustrieren, wie sich die Blüte bis heute angemessen modern interpretieren lässt – auch wenn die Vergoldung der Blüte in Bezug auf die Schweiz zwar stimmig sein mag, aber ein wenig aufdringlich wirkt.

Längst hat das Edelweiß auch auf der Leinwand und in Tonstudios Wurzeln geschlagen. Die im englischen Sprachraum gängigste Assoziation lieferte das 1965 produzierte Film-Musical »The Sound of Music«. Der Song »Edelweiss« rührt bis heute Millionen von Zuschauern. Die Geschichte des verwitweten k. u. k. Offiziers (gespielt von Christopher Plummer), seinen singenden Kindern und der später geehelichten Erzieherin ( Julie Andrews), die lieber fliehen, als für die Nazis zu singen, trug maßgeblich zum Österreich-Bild in den USA bei – bis in die Gegenwart: Bei der Oscar- Verleihung 2015 sang Lady Gaga ein Potpourri aus »The Sound of Music«.

»A sound attack straight from the Alps« nannte sich die frühe heimische Electronica / Hip-Hop-Band Edelweiss, bestehend aus dem Remix-Kollektiv Martin Gletschermayer, Matthias Schweger und Walter Werzowa. Gemeinsam mit der Volksmusik-Jodlerin Maria Mathis bedienten sie sich 1988 in Form von Samples bei Abba und Falco, produzierten den weltweiten Crossover-Hit »Bring Me Edelweiss«, verkauften fünf Millionen Platten und landeten unter anderem auf Platz fünf der UK-Singles-Charts. Was da an farbigen Sennerinnen und jodelnden Liliputanern durch das schnell geschnittene Video huschte, regte die Clubbing-Gäste in aller Welt an und die Heimatschützer in der Bergwelt auf. (Fun Fact: Co-Mixer Walter Werzowa landete 1994 einen noch größeren Hit, komponierte er doch den »Intel Bong«, der bei jedem Neustart eines Microsoft- PCs ertönt.)

Was sich daraus mitnehmen lässt? Ebenso beharrlich wie sich die Pflanze in den hochalpinen Regionen gegen die Widrigkeiten des Klimas und der Biotopzerstörung behauptet, entzieht sich der Blumenschmuck einer einfachen Zuordnung und Vereinnahmung.

 

Edelweiß, Edelweiß: Its prettiness and durability turned the edelweiss into a beloved symbol. In the 19th century, alpinists collected the – quickly endangered – flower as a trophy, and the edelweiss soon became a symbol of Austrian identity. The flower was embossed on the 1-Schilling coin since 1959, and now has a place in your wallets on the 2-Cent coin. Immortalized by »The Sound of Music«, and by the early Austrian hip-hop band Edelweiss , the floral decoration evades simplistic appropriation. (Translation: Sophie Fessl)