Heute habe ich in meiner Funktion als Vorsitzender des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten im Presseclub Concordia die Studie zur Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungsituation österreichischer WissenschaftsjournalistInnen vorgestellt. Die Studie findet sich als pdf (2 MB) auf der Website des Klubs. Deren Ergebnisse fasst die APA so zusammen: „Wissenschafts-Journalismus: Prekär, unter Druck, neutral“. Hier mein Vorwort zur Studie.
Magnetnadeln im Heuhaufen
Ein- und Ableitung von Oliver Lehmann
Wer sind wir? Diese einfache Frage stand am Anfang der vorliegenden, vom österreichischen Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten initiierten Untersuchung. Man könnte diese Frage auch einfach beantworten: Der 1971 gegründete Klub versteht sich als Netzwerk für Informationsaustausch und -verbreitung sowie Weiterbildung auf den namensgebenden Feldern. Das Verzeichnis führt 145 Mitglieder, die sich durch unterschiedlich intensive Aktivität und Zahlungsmoral des Mitgliedsbeitrags auszeichnen. Bei den Klubabenden und -veranstaltungen findet sich üblicherweise ein Kreis von rund 25 JournalistInnen ein, bei den beiden Großereignissen des Jahres – der Wahl des Wissenschaftlers des Jahres und dem traditionellen gesellschaftlichen Anlass, dem Eisstockschießen – ist die Zahl höher; das Internetportal www.wissenschaftsjournalisten.at dürfte von praktisch allen Mitgliedern benützt werden.
Doch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage ist wohl differenzierter. Gute Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen sind so etwas wie die Magnetnadeln im Heuhaufen: Es gibt nicht viele, aber sie leisten unverzichtbare Orientierungshilfen.
Innerhalb der Branche gelten Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen als interessante Randfiguren, geschätzte Einzelbegabungen, bisweilen als skurrile Erscheinungen. Nur selten rücken deren Themen in die Schlagzeilen, auf das Cover oder in den Live-Ticker, mediengerecht inszenierte Ereignisse wie die Nobelpreise einmal ausgenommen. Oft werden die Arbeiten der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten entweder in den Texten der Ressorts Innenpolitik, Chronik und Wirtschaft eingearbeitet (etwa bei dem hierzulande in Permanenz ausgetragenen Konflikt zur Zukunft der Schule). Oder sie werden dazu verwendet, Probleme zu erklären, an deren Erläuterung die anderen Ressorts beziehungsweise deren gesellschaftlichen und politischen Proponenten scheitern, seien es globale Grippewellen oder ein lokales Bienensterben.
Diese Unterschätzung des Bildungs- und Wissenschaftsjournalismus ist aus vielen Gründen ein Fehler, zwei seien hier genannt. Zum einen ist ein Gutteil der österreichischen Bevölkerung (74 Prozent) – und damit der MedienkonsumentInnen – interessiert an „neuen wissenschaftliche Entdeckungen und technologischen Entwicklungen“[1]. Zum anderen beruht das prinzipielle Selbstverständnis des gesamten Berufsstandes auf Bildung und Wissenschaft: „Ein guter Journalist ist ein Forscher, ein Entdecker, ein Erklärer – er ist ein Amundsen, er ist ein Scott. Er kann Dinge, die andere nicht können und er traut sich Dinge, die sich andere nicht trauen.” (Heribert Prantl)[2]
Wer aber nun die Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen tatsächlich sind, auch wie deren Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungssituation und deren Selbstverständnis aussieht, wie sie das Spannungsverhältnis zwischen Journalismus und PR empfinden, war nur anekdotisch und individuell bekannt. Deswegen thematisierte ich diese Fragen anlässlich meiner Wahl zum Vorsitzenden des Klubs im Mai 2012, verbunden mit dem Vorschlag, diese grundsätzlich zu klären, und vor allem so, wie es sich für einen Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten geziemt: Mit den Mitteln der Wissenschaft.
Unterstützt von den Vorstandsmitgliedern erstellte ich einen Entwurf zu dieser Studie. Die Recherche ergab, dass das Medienhaus Wien eine solche Untersuchung durchführen könne, nicht zuletzt, weil sich die Studienautoren auf Vergleichsarbeiten und ihre entsprechenden Erfahrungen beziehen konnten. Die Finanzierung erfolgte ausschließlich mit Förderungen folgender Institutionen.
- Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
- Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie
- Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
- Rat für Forschung und Technologieentwicklung
- Wirtschaftskammer Österreich
- Ecoplus – Die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich
- Das Land Steiermark – Ressort Wissenschaft & Forschung
- Österreichische Universitätenkonferenz
Dafür sei ihnen herzlich gedankt.
Die Ergebnisse lassen sich nun im Detail lesen und interpretieren. Sie sind es wert, genau analysiert zu werden. Sie basieren in einer ersten Phase auf Tiefeninterviews mit Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen und in einer zweiten Phase auf 100 Telefoninterviews, die im Jänner und Februar 2013 geführt wurden. Allen TeilnehmerInnen sei dafür gedankt, dass sie ihre wertvollste Ressource dafür zur Verfügung gestellt haben.
Die Studie ist der Literaturrecherche und der Auskunft der EUSJA zufolge die erste, derart umfassende Untersuchung zur Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungssituation in Europa; die EUSJA (European Union of Science Journalists’ Associations) ist die Dachorganisation europäischer WissenschaftsjournalistInnen, die rund 3000 JournalistInnen in 25 Länder vertritt.
Ein Ergebnis lässt sich hervorheben und in drei Punkte gliedern
- Die wirtschaftliche Lage vieler Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten ist problematisch.
- Dadurch wird der Bildungs- und Wissenschaftsjournalismus marginalisiert mit den entsprechenden Konsequenzen für die Inhalte, die recherchiert, analysiert, beschrieben und vermittelt werden sollen.
- Das hat gravierende Folgen für alle Beteiligten dieser Kommunikation: Die Medienunternehmen, die Bildungs- und Wissenschaftswelt, die Politik, die JournalistInnen selbst und – in letzter Konsequenz – für die Öffentlichkeit.
Barbara Drilssma, die Vorsitzende der EUSJA, konstatiert: „Science journalism is in a state of crisis.“ (siehe Umfrage). Die teils drastischen Budgetkürzungen der vergangenen zwei Jahre in den USA, Großbritannien aber auch Spanien (zum Beispiel El Pais) treffen zuerst die vermeintlich unwichtigen Ressorts wie Bildung und Wissenschaft, deren Inhalte sich aus anderen als journalistischen Quellen simulieren lassen. Und wo Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen nicht unmittelbar von Kürzungen und Streichungen betroffen sind, werden sie sich mit neuen Herausforderungen, Informationskanälen, Recherchemethoden und Verbreitungsmöglichkeiten befassen müssen.
Das angesehene Pew Research Center, ein Think Tank in Washington D.C., erstellt seit einigen Jahren Berichte zur Lage der US-amerikanischen Medien. In dem aktuellen Bericht heißt es „In 2012, a continued erosion of news reporting resources converged with growing opportunities for those in politics, government agencies, companies and others to take their messages directly to the public.” [3] Die Konsequenzen sind gravierend: “Efforts by political and corporate entities to get their messages into news coverage are nothing new. What is different now—adding up the data and industry developments—is that news organizations are less equipped to question what is coming to them or to uncover the stories themselves, and interest groups are better equipped and have more technological tools than ever.” [4]
Allerdings lassen sich auch Ansätze von brauchbaren Alternativen orten: „While traditional newsrooms have shrunk, however, there are other new players producing content that could advance citizens’ knowledge about public issues. They are covering subject areas that would have once been covered more regularly and deeply by beat reporters at traditional news outlets—areas such as health, science and education. The Kaiser Family Foundation was an early entrant with Kaiser Health News. Now others, such as Insidescience.org, supported by the American Institute of Physics and others, and the Food and Environment Reporting Network with funding from nonprofit foundations are beginning to emerge. In the last year, more news outlets have begun to carry this content with direct attribution to the source.[5]”
Ähnliche Ansätze können in Europa ausgemacht werden: Das Science Media Centre in Großbritannien hat sich seit 2002 als glaubwürdige und angesehene Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit etabliert. Es hat es sich zur Aufgabe gemacht „to provide, for the benefit of the public and policymakers, accurate and evidence-based information about science and engineering through the media, particularly on controversial and headline news stories when most confusion and misinformation occurs.”[6]
Besonders betont wird die Unabhängigkeit der Organisation: „The independence of the Science Media Centre is critical to the work we carry out. We do not have any specific agenda other than to promote the reporting of evidence-based science, and are completely independent in both our governance and funding.”
Das Science Media Centre ist so zum Vorbild für andere Initiativen geworden. In Deutschland wird derzeit die Errichtung einer ähnlichen Informationsplattform diskutiert. So unterstützt die gemeinnützig orientierte Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen eines bis August 2014 laufenden Programms mit insgesamt 180.000 Euro Projekte, die “Neue Wege im Wissenschaftsjournalismus” erschließen.[7] Eines davon befasst sich mit den Möglichkeiten eines Science Media Centre für den deutschsprachigen Raum.
Doch nicht alle Initiativen sind eindeutig der unabhängigen Recherche und Bewertung durch JournalistInnen verpflichtet. Das in Brüssel angesiedelte Medienprojekt „Atomium Culture“ – initiiert vom ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing – macht es sich zur Aufgabe die “wichtigsten Universitäten, Zeitungen und Unternehmen in Europa auf einer fachübergreifenden Plattform zusammen zu führen, um die Verbreitung von Wissen zu fördern”. Auf der Homepage sind als Kooperationspartner eine Reihe von europäischen Qualitätszeitungen angeführt. Gleichzeitig heißt es in der Selbstdarstellung „It is important to change the mindset of the public at large (…) bringing the changing roles of businesses in society as leaders of innovation to the attention of the public.”[8] Als unterstützende Firmen sind unter anderem Bayer, Merck, Shell, Siemens und Vivendi vermerkt. Die Mitwirkung dieser und anderer Konzerne besagt noch nicht, dass das Projekt an sich problematisch ist. Aber sie macht deutlich, dass eine exakte Recherche, Differenzierung und Bewertung bei der Nutzung solcher Quellen unumgänglich ist. Die entsprechenden ExpertInnen sind die Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen.
Wie drastisch sich die Anforderungen an unabhängige Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen ändern und wie unverzichtbar deren Arbeit ist, lässt sich an der aktuellen Debatte zu Open Access ermessen. Maßgeblich dazu beigetragen hat die wachsende Unzufriedenheit der Wissenschaftswelt mit dem Quasi-Monopol einiger weniger kommerzieller Verleger von Fachpublikationen. Zum Beispiel: Der niederländische Fachverlag Elsevier veröffentlichte für das Jahr 2012 eine Profitrate von 38 Prozent; jene von Springer lag ebenfalls über 30 Prozent. In den letzten acht Jahren stieg der Gewinn von Elsevier um je einen Prozentpunkt pro Jahr. Mittel, die dem Verständnis der Wissenschaftswelt nach besser direkt in die Wissenschaft investiert und deren Ergebnisse dann per Open Access Modellen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Das hat zum einen Konsequenzen für die Fachverlage und die dort beschäftigten WissenschaftsjournalistInnen. Andererseits sind durch die – zumindest vorstellbare – Marginalisierung von Fachpublikationen redaktionell verortete oder freie JournalistInnen zusätzlich gefordert, die Relevanz und Glaubwürdigkeit der dann über Open Access zugänglichen Veröffentlichungen zu bewerten.
Die oben angeführten Beispiele aus dem Ausland und die aktuellen Entwicklungen in Österreich dokumentieren, dass die herkömmlichen Erlösmodelle nicht mehr funktionieren – sowohl für die Medienunternehmen wie für die JournalistInnen. Der in der vorliegenden Studie ausgewiesene bemerkenswert hohe Anteil an JournalistInnen, die neben ihrer redaktionellen Arbeit auch PR-Tätigkeiten ausüben, lässt sich so interpretieren, dass ein Gutteil der KollegInnen PR betreibt, um sich die Befassung mit Journalismus leisten zu können. Die eine Tätigkeit schließt die andere nicht aus. Aber Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen sind gefordert, allfällige Interessenskonflikte offenzulegen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wer in wessen Interesse informiert.
Was sind also die Konsequenzen? Die Frage richtet sich an die vier hauptsächlich beteiligten Interessensgruppen.
1.) Die Medienunternehmen: Wenn die herkömmlichen Erlösmodelle für die Sicherstellung eines qualitativ relevanten Wissenschaftsjournalismus nicht mehr funktionieren, kann die Lösung nicht in einer weiteren, schon jetzt strukturell negativ wirksamen Kürzung der redaktionellen Etats liegen. Es gibt neue und erfolgreiche publizistische Initiativen, die belegen, dass sich Bildungs- und Wissenschaftsjournalismus mit dem Interesse des Publikums paaren können und dabei Profit ermöglichen, wie folgende Beispiele belegen:
In Österreich wurde 2012 mit Terra Mater – herausgegeben vom Red Bull Media House – ein aufwändig und anspruchsvoll produziertes Magazin neu auf den Markt gebracht. Die Erhöhung der Erscheinungsfrequenz von vier auf sechs Ausgaben pro Jahr deutet auf einen zufriedenstellenden Verlauf der Entwicklung hin. Der Verlag gibt als Auflage 60.000 Exemplare in Österreich und Deutschland an.[9]
Der ebenfalls dem Unternehmenskonglomerat von Red Bull zuzuordnende Sender Servus TV plant für Herbst ein einstündiges Wissenschaftsmagazin am Samstag-Hauptabend. Damit sucht der private Sender direkt die Konkurrenz zu dem öffentlich-rechtlichen ORF, der als Leitmedium eine besondere Verantwortung trägt und bislang die Berichterstattung über Wissenschaft als eine seiner Kernaufgaben im Kontext des Public Value anführt; ein Anspruch, der im Hörfunk oder dem Internet zwar zu Recht besteht, aber in letzter Zeit durch fragwürdige Programmentscheidungen im TV (Stichwort: Pseudodokumentation über Lichtnahrung[10]) in Frage gestellt wurde.
2.) Die Politik ist gefragt, Rahmenbedingungen im Kontext der Medienförderung zu schaffen, die Bildungs- und Wissenschaftsberichterstattung zur Voraussetzung für die entsprechenden Förderungen machen. Immerhin ist es in den letzten Jahren gelungen, Bildung und Wissenschaft als Zukunftsthemen zu etablieren. Praktisch alle PolitikerInnen aller Lager bekennen sich dazu, dass die Investitionen in Bildung und Wissenschaft über die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft entscheiden. Nur ist es mit dem Bekenntnis nicht getan. Was es braucht, sind kompetente VermittlerInnen, die dank ihrer Ausbildung, Erfahrung und Arbeitssituation im Stande sind, die oft wirklich schwierigen Zusammenhänge zu erklären. Die für Herbst 2013 geplante Novelle zum Presseförderungsgesetz bietet die Möglichkeit, diese Diskussion über eine Absicherung dieser Vermittlungsarbeit zu führen.
3.) Die Wissenschaftswelt (Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Forschungsförderungsorganisationen und Beratungsgremien) ist gefragt, wo sie es nicht schon tut
- a) ihren finanziellen Beitrag zu einer Gewährleistung eines qualitativ relevanten Bildungs- und Wissenschaftsjournalismus zu leisten und
- b) bisherige Methoden der Subventionierung auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und daraus gegebenenfalls Modelle abzuleiten, die die Interessen der Kommunikation mit den Ansprüchen eines unabhängigen und kritischen Journalismus vereinen.
4.) Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen sind schließlich gefragt mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und an den Tag zu legen. Sie haben jeden Grund auf ihre Arbeit stolz zu sein. Sie sind die zentralen MultiplikatorInnen mit der besten Sachkenntnis und der höchsten Glaubwürdigkeit. Sie sind die unverzichtbaren VermittlerInnen zwischen der Wissenschaftswelt und der Öffentlichkeit.
Kurzum: Alle Beteiligten sind gefragt, diese Debatte zu führen.
Oliver Lehmann ist seit Mai 2012 Vorsitzender des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten, freier Autor und Mediensprecher des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria).
[1] Eurobarometer Spezial „Wissenschaft und Technik“, 2010
[2] http://derstandard.at/1371170122405/Die-Zukunft-des-Qualitaetsjournalismus
[3] http://stateofthemedia.org/2013/overview-5/
[4] http://stateofthemedia.org/2013/overview-5/
[5] http://stateofthemedia.org/2013/overview-5/
[6] http://www.sciencemediacentre.org/about-us/
[7] http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Flyer_Neue_Wege_im_Wissenschaftsjournalismus.pdf
[8] http://atomiumculture.eu/node/43
[9] http://www.terramatermagazin.com/fileadmin/presse/PA_TerraMater_Erscheinungsfrequenz_20130513.pdf
[10] http://www.oliverlehmann.at/2013/03/130309-hungerkur-auf-dem-kuniglberg/