Universum Magazin, April 2013
Der Wiener Fotograf Lukas Beck dokumentiert mit seinem ersten Universum-Film das Verhältnis zwischen Tieren und Pflegern in Schönbrunn. Das Ergebnis erzählt von Respekt und Vertrauen – und präsentiert bemerkenswerte Porträts von Menschen und Tieren.
Schmal, sehnig, den Kopf in den Nacken gelegt: Eine kaum bezähmbare Urgewalt, die einen allerletzten Moment lang innehält, um Kraft zu sammeln für die finale Attacke. Wie jede brauchbare Ikone verdichtet das Bild von Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti nicht nur die Stimmung an diesem 29. Juni 1991 auf dem „Ostbahn 11“-Platz in Wien-Simmering; das Bild macht mehr: Es zieht den Betrachter in das Geschehen, lässt ihn teil werden mit dem Ganzen der 13.000 Fans, reizt nicht nur den optischen Sinn. In den Ohren wummert der Bass, in die Nase steigen Geruchsfetzen von Langos, Bier und sehr viel Schweiß, die Stimme wird heiser vom Kollektiv-Choral des „57er Chevie“.
Fotograf dieser Aufnahme ist der damals 24-jährige Lukas Beck. Ostbahn-Kurti ist der Titelheld seiner frühen Arbeiten. Zwei Jahre nach dem magischen Moment veröffentlicht Beck weitere Aufnahmen des Ostbahn-Kurti samt Chefpartie in seinem ersten Bildband. 20 Jahre später stellt Beck sein jüngstes Projekt fertig: ein Tierfilm, mehr noch, ein Zoofilm. Nicht das, was sich als schlüssige Konsequenz der Ereignisse auf der Simmeringer Heide aufdrängt.
Lukas Beck erzählt die Geschichte ein wenig anders. Immer wieder habe er im Tiergarten Schönbrunn zu tun gehabt, Porträts machen von der Chefin Dagmar Schratter im Auftrag von Redaktionen: „Mir ist bei diesen Gelegenheiten aufgefallen, wie unglaublich einfühlsam die Pfleger mit den Tieren umgehen. Ich hab mir gedacht: Das wär doch eine Geschichte, auch weil mich so Arbeitswelten immer interessiert haben.“ Ergebnis dieser Beobachtung war der Band „Leben im Zoo“, erschienen 2011 im Echomedia Verlag. Beck begleitete 70 Pflegerinnen und Pfleger bei ihrer Arbeit in den Gehegen des Tiergartens und lässt sie darüber erzählen. Beck: „ Tiere, ohne Botschaft zu fotografieren, hat mich nie interessiert. Und die Tierpfleger reflektieren ihre Tätigkeit großartig.“
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Etwa Daniel Fuchs, der erzählt, wie man tonnenschwere Bisons füttert, ohne von ihnen niedergetrampelt zu werden. Oder Mähnenrobben-Pfleger Ludwig Fessl, der erklärt, was die Besucher von „ihrem Aufenthalt bei uns mitnehmen sollten“, nämlich eine globale Sichtweise des Artenschutzes. Auf diese Weise entstand ein Panoptikum der menschlichen und tierischen Charaktere, die höchst unterschiedlich sind, deren Gemeinsamkeit aber so zusammengefasst werden kann: Respekt. Es ist diese Grundhaltung, die die Pflegerinnen und Pfleger von Schönbrunn gegenüber ihren Schutzbefohlenen auszeichnet. Und dabei fällt auf, dass ein anderer Begriff fast völlig verschwunden ist: Wärter sagt heute keiner mehr zu dem Personal im Zoo.
Dieser Respekt schließt nicht aus, dass die Zuneigung je nach Körpergröße, Kieferkraft und Beuteschema auch körperlich ausgedrückt wird: Die Ameisenbärendame Ilse kuschelt gerne mit Pfleger Alexander Keller. Doch im Regelfall bleibt nicht nur ein physischer Abstand gewahrt. In dem Band gelingt es Beck diese Ambivalenz fast thesenhaft zu illustrieren: „Ein gutes Bild muss die Beziehung zwischen Menschen und Tier zeigen.“ Ein verwegen hoher Anspruch, denn bei der Fotografie mit Tieren „weiß man nie was passiert. Aber die meisten Termine haben beim ersten Mal hingehaut.“
Der Artikel als PDF im Layout des Universum MagazinsVon diesen Aufnahmen hin zu seiner ersten Dokumentation – abgesehen von einigen Kurzfilmen – sei der Weg nicht so weit gewesen, erzählt Beck: „Schon während der Arbeit an dem Buch hab ich mir gedacht, das wäre ein super Film. Die Pfleger haben beim Fotografieren oft nebenher erzählt, was sie außerhalb des Zoos machen. Das hat im Buch keinen Platz gehabt, aber im Film jetzt schon.“
Das klingt dann zum Beispiel so: Der Steirerbua Rupert Kainradl besuchte mit elf oder zwölf Jahren das Schmetterlingshaus im Wiener Burggarten. Dort verfällt er der Schönheit der fragilen Gebilde. Zuhause in Altenberg an der Rax fragt er sich, warum es kaum mehr Schmetterlinge gibt. Kainradl überredet die Nachbarn vermeintliches Unkraut wie die Wilde Möhre auszusäen – an sich unscheinbare Gewächse mit winzig kleinen, weißen Blüten, die sich zu Dolden gruppieren. Und siehe da, eine Metamorphose setzt ein: So wie sich eine unscheinbare Raupe in einen Schmetterling verwandelt, taucht der lange verschollene Schwalbenschwanz wieder auf. Der Schmetterlingsfreund von der Rax hat seine Berufung zum Beruf gemacht. Halbtags arbeitet er im Zoo, den Rest der Zeit studiert er Botanik.
Und damit ist Kainradl gar keine seltene Spezies in dem Biotop im Schönbrunner Schloßgarten. Bemerkenswert viele Betreuerinnen und Betreuer sind akademisch vorgebildet, was ihnen die entsprechende einschlägige Ausbildung aber nicht erspart. Auch Dagmar Schratter hat erst Zoologie studiert und dann die Prüfung zur Tierpflegerin abgelegt (Im praktischen Abschnitt musste Schratter Mäuse nach Geschlecht sortieren, sie verpacken und dann – rein fiktiv – nach Prag verschicken.) Überqualifiziert, nennt das Arbeitsamt solche Menschen. Mag sein. Zu den Aufgaben gehören die Säuberung der Gehege (inklusive Entsorgung des Kots je nach Größe mit dem Besen oder der Schaufel) und die Zubereitung des Futters. Arbeiten, die ordentlich, aber nicht wirklich üppig entlohnt werden. Was treibt die Pflegerinnen und Pfleger aber dann um?
Ein Teil der Antwort mag in der Mitwirkung an einem sinnvollen Vorhaben liegen. Dagmar Schratter erklärt es in meinem Zoobuch („Tiergarten Schönbrunn“, 2012) so: „Gute Zootierhaltung ist immer ein Spagat. Was vielleicht ideal für die Tiere wäre, ist es nicht unbedingt für den Besucher. Der Besucher muss die Möglichkeit haben, das Tier zu sehen, eine Beziehung aufzubauen. Umgekehrt brauchen aber die Tiere ein Rückzugsgebiet. Kein Besucher erwirbt mit dem Kauf der Eintrittskarte das Recht, zu jeder Zeit jedes Tier zu sehen. Es gibt keinen idealen Zoo. Aber es gibt Kriterien für einen guten Zoo. Ein guter Zoo ist es dann, wenn er wirtschaftlich und nachhaltig geführt ist, wenn er seine Aufgaben im Natur- und Artenschutz ernst nimmt und die Kriterien des Weltzooverbandes erfüllt. Wenn sich die Tiere, die Besucher und das Personal wohl fühlen. Ein Zoo ist immer für beide da, die Tiere und die Menschen.“
Die Aufnahmen in Becks Film illustrieren dieses Credo glaubhaft. Da steht Ludwig Fessl mit seinem markanten Schnauzer auf dem Felsen des Mähnenrobbenbeckens und wirft zum Gaudium des Publikums den Tieren die Spezereien zu. Besonders aufdringlich versucht der Bulle die Weibchen wegzudrängen und die Fische in der Luft zu fangen – und scheitert doch jedes Mal an den flinkeren Konkurrentinnen, wie im Film dank Zeitlupe zu erkennen ist. Das sieht alles besonders spielerisch und amüsant aus – sowohl das Verhalten der Tiere wie des Pflegers. Und doch verwehrt sich Fessl gegen jede liebliche Interpretation wie er im Buch deutlich macht: „Für die Robben bin ich der Fischlieferant. Es gibt schon eine Vertrauensbasis, aber ich würde nicht sagen, dass es eine ‚Bindung“ zu ihnen ist. Dieses ‚Tierliebe-Spiel’ ist nicht meins. Da sind starke Emotionen mit dabei und Emotionen leiten letztlich fehl. Tier soll Tier bleiben und Mensch soll Mensch bleiben.“
Dieses Spannungsverhältnis zwischen Respekt und Vertrauen lässt sich auch im Film als durchgängiges Motiv ausmachen. Natürlich ist eine enge Bindung unausweichlich, wenn man wie Nina Reinstadler kleine Flughunde mit der Hand und der Pipette aufzieht, sie dann in Socken steckt oder später an das eigene T-Shirt hängt. Wird ein Jungtier von seiner Mutter nicht angenommen, nimmt es Reinstadler die ersten Wochen mit nach Hause, weil es alle drei Stunden Milch braucht – auch nachts. Dort machen es sich die Tiere an der Wäschespinne gemütlich, weil sie sich dort problemlos mit den Krallen an den Streben einhängen und trotzdem die Flügel strecken können. Oder sie hängen sich an das bunte Frottee-Badetuch, das Reinstadler vom Malaysia-Urlaub mitgebracht hat. Transportiert werden die Tiere dann einfach in einem Babytragetuch in der U-Bahn. Manchmal schaut dann eine Kralle hervor oder das kleine Maul mit den spitzen Zähnen. Und doch gibt es bei all dieser Intimität einen Kern an Autonomie, ein Element der Distanz. In manchen Nächten bleibt Reinstadler im Regenwaldhaus und beobachtet, wie die Tiere in der Dämmerung aktiv werden und dann im Mondschein durch die Luft flattern auf der Suche nach dem Obst, dass sie ausgelegt hat. In anderen Nächten zieht Reinstadler los und rettet heimische Fledermäuse, montiert 35 Nistkästen in den Wiener Wäldern und zählt Individuen. Wie bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen ist die Grenze zwischen Beruf und Freizeit nicht besonders deutlich erkennbar.
Kurt Schiechl kümmert sich tagsüber um die Stabheuschrecken und andere meist recht bizarr anmutende Insekten im „Haus der Schrecken“. In 14 Terrarien sind die Tiere untergebracht, deren Namen meist so abstrus wie ihr Verhalten ist: Die Orchideenmantris tarnt sich als lieblich-weiße Blüte, das Große Wandelnde Blatt als – naja – großes, wandelndes Blatt. Auch die Nahrung vieler Insekten trägt eine extravaganten Bezeichnung: Ihren Namen verdankt die Schokoschabe ihrer Farbe, nicht ihrem Geschmack. Besonders angetan hat es Karl Schiechl der Wandelnde Ast: Eine große Stabheuschreckenart, die unter Tags wie tot im Geäst hängt und nachts wie ein ungelenker Roboter durchs Blattwerk stakst. Zu dieser Zeit ist Schiechl dann meist schon in seinem Garten in Petronell oder im nahen Auwald der Donau. „Als ich klein war, wollte ich Insektenforscher werden. Ich habe mir vorgestellt, dass ich mit einem Tropenhelm und einem Schmetterlingsnetz durch den Urwald laufe und neue Arten entdecke. Wie das Leben so spielt, ist das nie Realität geworden“, erzählt er im Buch. Schiechl untertreibt. Nur wenige Menschen kommen der Verwirklichung ihrer Kindheitsträume so nahe. Beck begleitet ihn hinaus in seinen Garten, wo er in Kompost- und Steinhaufen nicht sehr viel anderes macht als in Schönbrunn, nämlich 30 Kerbtierarten zu züchten, etwa prächtige Nashorn-, protzige Hirsch- und schimmernde Rosenkäfer.
Wie ernst es Lukas Beck mit der Porträtierung der Pflegerinnen und Pfleger meint, lässt sich daran erkennen, dass er fast völlig auf die Publikumslieblinge verzichtet: Die Elefanten tauchen nur kurz auf, ebenso die Pandas. Die Koalas fehlen überhaupt. Die braucht der Film auch nicht. Möglicherweise kann sich Beck auf dieses Wagnis einlassen, weil er aus seinen Erfahrungen der Arbeit mit außergewöhnlichen und kreativen Menschen schöpft. „Interessante Leute strahlen von innen. Beim Fotografieren muss ich dann gar nichts machen oder die besonders ausleuchten.“ Bei den Tieren sei es noch einfacher: „Da gibt es sowieso viel weniger Wappler als bei den Menschen.“
Ein Lieblingstier? Beck überlegt lange und zögert. Das Gepardenmännchen, das von Andreas Eder betreut wird, das sei schon etwas Besonderes, nämlich „unerträglich schön. Die Bewegung, wenn er geht und schaut… Wenn man den durchschnittlichen Mann mit einem durchschnittlichen Geparden vergleicht, kein Chance.“ Also doch. Schönbrunn und Simmering liegen ziemlich nahe beieinander.
TV
- Universum: „Leben im Zoo“ von Lukas Beck, Dienstag, 16.4., 20.15 Uhr
Bücher
- „Leben im Zoo“ von Lukas Beck (Fotos) und Renate Pliem (Text), 160 Seiten, € 29,90, Echomedia Verlag
- „Tiergarten Schönbrunn. Mythos und Wahrheit“ von Oliver Lehmann, 112 Seiten, € 9,90, Brandstätter Verlag
Video
- Ostbahn-Kurti auf dem „Ostbahn 11“-Platz: „Nix hoit mi auf“ inklusive Horak-Foul