Das Konzept mutet bekannt an: Philipp Blom hat 2009 mit „Der taumelnde Kontinent“ ein ähnliches Pasticcio vorgelegt, das wie alle derartige Geschichtsklitterungen auf einem möglichst enzyklopädischen Wissen des Autors und dessen Gelassenheit bei der Auswahl der vermeintlich entscheidenden Ereignisse basiert. Während Blom die Spanne von 1900 bis 1914 als entscheidende Phase für die Etablierung der Moderne mit all ihren Triumphen und ihren inhärenten Abgründen ausmacht, hat Florian Illies dieses Konzept nun noch weiter komprimiert und vermeint im Jahr 1913 den optimalen Abschnitt gefunden zu haben, an dem sich alle für die Moderne entscheidenden Lebenswege und Erfindungen, Kunstwerke und Absonderlichkeiten zusammendrängen. Die Willkür, mit der Illies zu Werke geht, hat zweifellos ihren Reiz: Während Freud und Rilke sich in München betrinken, wird eine Fahrtstunde entfernt in Augsburg ein Knabe namens Berthold Brecht Chefredakteur einer Schülerzeitung; im Schlosspark von Schönbrunn läuft ein erfolgloser Postkartenmaler namens Hitler einem ähnlich erfolgslosen Berufsrevolutionär namens Stalin über den Weg; der erste Looping wird geflogen und die erste Supermarktfiliale eröffnet. Dass die Jahre vor dem ersten Weltkrieg in Mitteleuropa von besonderer kulturhistorischer und politischer Dichte sind, ist evident. Iliessens Buch ruft das auf lesenswerte Weise in Erinnerung – auch wenn es nicht schaden kann, sich ebenso in Erinnerung zu rufen, dass die Korrelationen von Ereignissen nicht zwingend in Kausalitäten münden.
„1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ von Florian Illies, S. Fischer, 320 Seiten, € 20,60