Das Adjektiv „unconscious“ im Titel dieses Bildbands kann auf Englisch zweierlei bedeuten: „unbewusst“ ebenso wie „bewusstlos“. Der zweite Begriff beschreibt im Deutschen im gebräuchlichen Sinn einen Zustand absenter Körperwahrnehmung. Im übertragenen Sinn aber mag man darin lesen, dass der betroffene Mensch sich seines kulturellen und sozialen Kontextes nicht gegenwärtig ist, also frei von einem bewussten Sein in Zeit und Raum eher vegetiert als existiert.
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Die Beschreibung dieser Wortfelder umreißt das Thema, dem sich der deutsche Fotograf Thomas Struth im Großformat zuwendet. Schmale Gassen in Neapel und Edinburgh, weitläufige Boulevards in St. Petersburg und Peking, drastische Schneisen in New York, kalte Schluchten in Pyongyang – selten ist ein Mensch in diesem Habitat erkennbar, das doch so eindeutig aus Menschenhand ist. Das Unbewusste greift über ins Bewusstsein, legt Wünsche und Sehnsüchte, Ängste und Abscheulichkeiten frei: Am Horizont von Manhattan schimmern die Twin Towers; unser Wissen um ihre Zerstörung reagiert auf die Macht dieser Bilder im Unbewussten. Klug eingeleitet durch einen Essay von Richard Sennett erzählen die Bilder Thomas Struths eine sehr eindringliche Version der condition humain im frühen 21. Jahrhundert.
„Unconscious Places“ von Thomas Struth mit einem Vorwort von Richard Sennett, Schirmer/Mosel, 264 Seiten, € 90,50