Prognosen zeichnen sich durch die ärgerliche Nebenwirkung aus, nicht immer einzutreffen. Doch eine erste Vorhersage für das Jahr 2013 lässt sich ebenso lässig wie zielsicher abgeben: Es wird ein Jahr 2013 geben. Den Beweis dafür liefern – ausgerechnet – die Mayas. Der Archäologe David Stuart von der University of Texas dechiffrierte ein Wandgemäldes aus dem 9. Jahrhundert in den Überresten eines Haus tief im Regenwald von Guatemala. Am 10. Mai dieses Jahres vermeldete Stuart, dass am 21. Dezember bloß ein Kalenderzyklus ende – und ein neuer beginne. Stuart: “Den Maya-Kalender wird es weitere Milliarden, Billionen, Trillionen Jahre geben.” Das lässt hoffen.
Ebenso wahr ist freilich, dass die Lust am Untergang und die Angst vor der Zukunft so alt wie die menschlichen Aufzeichnungen sind. Geschürt oder initiiert durch reale Ereignisse werden traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit durch ihre Projektion in die Zukunft zu Sinnstifterinnen der Gegenwart. Und so mutiert die lokale Katastrophe der Überflutung der Uferzonen des Schwarzen Meeres vor mutmaßlich 9000 Jahren zur weltumfassenden Sintflut im Gilgamesch-Epos wie im Alten Testament.
Prognosen erzählen also oft mehr über die Gegenwart, in der sie verfasst wurden, als über jene Zukunft, die sie vorgeben zu beschreiben. In diesem Sinne sind die großen Themen für 2013 zu interpretieren, die sich aus den Visionen der Wissenschaftlerinnen und Forscher ableiten lassen.
Glaubt man dem US-amerikanischen Center for American Progress drohen 2013 globale Hungersnöte. Der – zugegeben – linksalternativen Denkfabrik zufolge sind die Bestände in den Weizensilos auf dem historisch niedrigsten Stand, bedingt durch Rekorddürren und Hitzewellen in den klassischen Anbaugebieten in den USA, Osteuropa und Russland. Da aber die wachsende Weltbevölkerung tendenziell mehr Nahrung benötigt als angebaut wird, sind drastische Preissteigerungen und Hungerrevolten zu erwarten, besonders in den ärmsten Ländern der Welt, in dem Haushalte bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben.
Um diese Fehlmenge zu kompensieren und also den Ertrag zu steigern, könnte der Einsatz von Pestiziden erhöht werden. Allerdings weist die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO darauf hin, dass rund ein Drittel aller hergestellten Nahrungsmittel bei der Lagerung, dem Transport oder der Verarbeitung verloren gehen. Dort anzusetzen wäre wesentlich effektiver.
Und sicherer. Das deutsche Helmholtz Zentrum für Umweltforschung kalkuliert, dass sich bis 2090 der Pestizid-Einsatz vom Stand 1990 verdoppelt haben wird, was zu einer dauerhaften Schädigung von 40 Prozent aller europäischen Flüsse führen könnte. Schon kursiert der Begriff “peak water” analog zum “peak oil”. Die Förderung könnte einen Scheitelpunkt erreichen. Nachdem dann alle erdenklichen Reservoirs angezapft sind, geht die Wassergewinnung zurück mit entsprechend verheerenden Folgen für den Teil der Menschheit, der sich keine Wasseraufbereitungsanlagen leisten kann.
Und der Bedarf steigt nicht nur am Wasserhahn. China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen konsumiert – so das Earth Policy Institute – schon heute mit 71 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr mehr als doppelt soviel wie die USA und ein Viertel der Fleischproduktion weltweit. Mehr Vieh resultiert wiederum in einem höheren Bedarf an Mais, Soja und andere Futtermittel. Deren Ackerflächen werden aber zunehmend für die Produktion von Bioenergie benötigt.
Damit nicht genug: Das Bevölkerungswachstum Indiens ist doppelt so groß wie jenes von China, dessen Bevölkerung also “beneidenswert jung” wie die RAND Corporation, das neoliberale Gegenstück zum Center for American Progress, bedauernd feststellt. Allerdings sei Chinas Bevölkerung besser ausgebildet, was sich nicht durch den Sprachanteil im Internet ausdrücken last. Mandarin und Englisch werden derzeit noch von etwa gleich vielen Usern verwendet (510 Mio. zu 565 Mio.). Allerdings stieg die Zahl der Mandarin-sprachigen Nutzer zwischen 2000 und 2011 um 1478 Prozent verglichen mit 301 Prozent für Englisch-Könner.
Dieser Trend bildet sich auch in dem Schwund von Minderheitensprachen ab. Von den rund 6900 Idiomen, die heute verwendet werden, dürfte die Hälfte bis zum Ende des Jahrhunderts nicht mehr zur aktiven Kommunikation genutzt werden. Schon jetzt sprechen 95 Prozent der Menschheit eine von nur 400 Sprachen. Die vielen anderen Sprachen werden von immer kleiner werdenden Gruppen benutzt.
Die verhältnismäßig gute Schulbildung in China erklärt, warum das Reich der Mitte 2013 aller Voraussicht nach die USA als größte Wissenschaftsmacht ablösen wird. Während in China die Zahl des akademischen Personals seit 2000 stetig stieg, das eine analog wachsende Menge an wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichte, nahmen diese Kennzahlen in den USA ab. 2004 hatte China bereits Großbritannien eingeholt, nächstes Jahr sind die USA dran.
Die extrem restriktive Familienpolitik mag in China zu einem demographischen Nullwachstum geführt haben (mit dem vorhersehbaren Problem einer entsprechend rasch überalternden Gesellschaft); anderswo flachen die Kurven keineswegs ab. Bis 2025 wird es 27 Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben. Das ist an sich noch nicht das Problem. Aber viele dieser Städte werden in Regionen entstehen, die dem Wachstum politisch, wirtschaftlich und logistisch nicht gewachsen sind wie Nordafrika, der Nahe Osten, Südasien und Indonesien. Im Jahr 2100 (also in gerade einmal 87 Jahren) werden 70 Prozent der dann weltweit 10 Milliarden Menschen in Städten leben.
Aber auch gegenläufige Trends meinen die Forscher auszumachen: Sogenannte Knowmads – ein Hybrid aus knowledge und nomads – werden dank Glasfaserkabeln und exzellenter IT-Infrastruktur den Megametropolen entfliehen und Kleinstädte in globale Netzwerke einweben: Schattendorf statt Schanghai, Kufstein statt Kairo, St. Pölten statt Sao Paolo…
Voraussetzung dafür sind störungsfreie und belastbare Kommunikationskanäle. Doch gerade die sind 2013 einer massiven Belastungsprobe ausgesetzt. Astronomen prognostizieren das sogenannte solare Maximum im 11-Jahreszyklus des Zentralgestirns. Die verhältnismäßig kleinformatigen Sonnenstürme der letzten Jahre haben den Druck so ansteigen lassen, dass massive Eruptionen zu erwarten sind, die die Magnetosphäre der Erde massiv beeinträchtigen könnten. Damit wären Satelliten, der Flugverkehr, Auto-Navis, Mobilfunknetze und diverse Sicherheitssysteme betroffen, so die Experten von NASA. Die Auswirkungen sind unabsehbar – und zwar nicht nur in den Industriestaaten. So wurden Handys in Afrika binnen weniger Jahre zu Werkzeugen der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Autonomie: SMS und soziale Netzwerke erhöhen die Kontrollmöglichkeiten der Bevölkerung durch eine zunehmende Nutzung unabhängiger und objektiver Informationsquellen. Geldüberweisungen werden über das Smartphone erledigt, korrupte Banken und Beamte umgangen, so Matthias Mordi, Direktor des Entwicklungsnetzwerks Accender Africa. Der Sonnensturm könnte diese positiven Entwicklungen zumindest zeitweise behindern.
Aber wohl nicht lahmlegen. Der technische Reifeprozess von Handys ist noch lange nicht abgeschlossen. 2013 wird Intel die nächste Generation von Mikroprozessoren auf den Markt werfen, mit der die lange als unüberwindbar geltende Schranke von 4 Gigahertz in CPU’s (zentralen Hauptprozessoren) bezwungen wird. 3D-Technologien und Touchscreens werden Industriestandards, die sich in neuen Spielkonsolen wie der PS4 und der XBox 720 finden – rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2013. Etwas weiter in der Zukunft werden übrigens auch Gerüche von Konsolen und Bildschirmen frei gesetzt, ist der Ingenieur Sungho Jin von der University of California in San Diego überzeugt. Fortschritt ist letztlich auch eine Frage des Geschmacks.
Die Weiterentwicklung der Geräte freut nicht nur die Konsolenhersteller, sondern auch Wirtschaftswissenschaftler. Immer mehr Computerspiele locken User mit Rabatten und Boni, die – einmal in der virtuellen Welt erworben – in der realen Welt zu Geld gemacht werden können. Auf den Handys gespeichert, kann damit dann das Parkticket, die Hotelrechnung oder das Trinkgeld gezahlt werden – und zwar unter Umgehung von Banken und Kreditkartenfirmen. Unternehmer wie Brian Wong, von der kalifornischen Marktplattform kiip, rechnen mit einem Wachstum der virtuellen Wirtschaft von weltweit drei Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 300 Milliarden bis zum Ende des Jahrzehnts.
In der realen Welt sind zwei gegenläufige Trends zu beobachten: Während Flugreisen immer unangenehmer werden – in den USA kommen ab dem kommenden Sommer auf Airports flächendeckend Bodyscanner zum Einsatz – reduziert die neue ICE-Verbindung zwischen Frankfurt und London via dem Eurotunnel die Fahrzeit auf knapp fünf Stunden, was die Bahn zum ernsthaften Konkurrenten für den Transit zwischen den beiden Finanzmetropolen des Kontinents werden lässt. Ebenfalls an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen wird der neue Hafen von Rotterdam. Dank des größten Landgewinnungsprojekts in Europa wurden 2000 Hektar Hafenfläche gewonnen, womit der größte Hafen der westlichen Hemisphäre seine Umschlagskapazität für Container verdreifachen kann.
Apropos Bodyscanner: Computerwissenschaftler an den Universitäten Purdue und Princeton entwickeln Firewalls – also digitale Schutzwälle – für Personen mit Chip-gesteuerten Ersatzteilen am und im Körper wie Insulinpumpen, Herzschrittmacher oder Hörgeräte. Hacker, so die Annahme. könnten diese Steuerungseinheiten und damit das Wohlbefinden der Patienten beeinflussen, um sie zu erpressen.
Die Energie für den Betrieb all dieser Geräte wird freilich knapp. Die Vorhersagen für die Produktion von Bioenergie für die USA seien – so die American Chemical Society – viel zu optimistisch. Um die 2007 gesetzlich fixierten Ziele tatsächlich zu erreichen, müssten 80 Prozent der agrarisch genutzten Flächen in den USA für Energiepflanzen genutzt werden – von den Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung (siehe oben) gar nicht zu reden. Reduktion des Verbrauchs bei gleichzeitiger Verbesserung der Effizienz wird unvermeidlich sein. Buckypaper – eine neues, extraleichtes Material aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen – könnte sich als Alternative anbieten, weil dessen Herstellung inzwischen Industrie-tauglich ist: 100 mal stärker als Stahl leitet es Strom wie Kupfer. DNA-Pionier J. Craig Venter hingegen setzt auf die Erzeugung einer auf Algen basierenden, synthetischen Zelle, deren Effektivität jene von Biopflanzen um ein vielfaches übersteigen soll.
Immerhin gibt es auch positive Anzeichen für die Reduktion des Verbrauchs. In den USA wird der Neubau-Anteil an grünen, energieeffizienten Eigenheimen von 17 Prozent im Jahr 2011 auf 38 Prozent im Jahr 2016 steigen. Die Maßnahmen kommen keine Sekunde zu spät: 2013 wird die Arktis im Sommer erstmals eisfrei sein. Und davon stand in dem Maya-Kalender kein Wort.
Eine Kurzfassung des Textes erschien im Universum Magazin, Winter 2012