Im November 2006 lud mich Biosphere Expeditions ein, eines ihrer Projekte in Namibia zu besuchen. Eine Woche verbrachte ich auf der Okomitundu-Farm im Zentrum des Landes, eine zweite Woche an der Küste rund um Swakopmund. Was sich wie eine sehr anregende Wildlife-Expedition anließ, schlug am Nachmittag des vierten Tages plötzlich um in ein wirkliches Abenteuer.
Universum Magazin, Februar 2007.
Nichts ist so erholsam wie eine Siesta, zumal wenn es auf 1.300 Meter Seehöhe 30 Grad im mageren Schatten der Buschsavanne hat. Seit sechs Uhr früh war das 20-köpfige Team – TouristInnen, Zoolog-Innen und StudentInnen – aufgeteilt in vier Gruppen im Hochland zwischen Windhoek und der Atlantikküste Namibias unterwegs: Gibt es Löcher im Zaun der Okomitundu-Farm mit ihren 18.000 Hektar (größer als das Fürstentum Liechtenstein)? Haben Geparde und Leoparden Spuren in den ausgetrockneten und entsprechend sandigen Flussbetten – Rivier genannt – hinterlassen? Sind Exemplare dieser beiden Wildkatzenarten per Funkpeilung zu orten? Wie viele Antilopen, Zebras, Warzenschweine lassen sich an den Wasserstellen beobachten? Vor allem aber: Ist ein Stachelschwein oder ein Erdferkel, ein Pavian, eine Hyäne oder gar ein Gepard in eine der sechs Käfigfallen getappt?
Das ist aufregend, aber auch anstrengend; vor allem für die zwölf TouristInnen aus England, Australien, Italien, Deutschland und Kanada, die ihren Urlaub opfern (und bezahlen), um organisiert von Biosphere Expeditions bei dem Schutz- und Forschungsprojekt Okatumba Wildlife Research mitzuhelfen. Der Lohn für die Mühe sind überwältigende Eindrücke von Tierwelt und Landschaft im Südwesten Afrikas, aber dafür ist erst abends am Lagerfeuer Zeit; jetzt ist der Mittagsschlaf wichtiger, vielleicht noch ein paar Längen im Pool vor der grandiosen Kulisse des 1.650 Meter hohen Kudubergs und der Mathildenhöhe. Es ist eben nichts so erholsam wie eine Siesta.
Die Okomitundu-Farm in Zentral-Namibia
Und nichts ist so nervig wie ein quäkendes Funkgerät. Aufgeregte Stimmen dringen aus dem Lautsprecher des Farmbüros, auf Deutsch und auf Englisch werden Ortsangaben gemacht,Verabredungen getroffen, immer wieder unterbrochen von den Funkkürzeln und dem Rauschen der wechselnden Frequenzen. Ohne Übung ist der genaue Inhalt nur schwer zu verstehen; ein Notfall, so viel ist klar. „Wie viel Mann habt ihr?“ „Mein Landcruiser gibt gerade den Geist auf.“ „Von mir kannst du den zweiten Land Rover haben.“ „Sieht wer das Feuer?“ „Nur Rauchsäulen. Südlich von der Wasserpipeline, westlich vom Lievenberg.“
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Ein Buschfeuer ist ausgebrochen. Am Ende der Trockenzeit (hier Winter genannt) ist das Gras staubtrocken; ein regnerischer Sommer hat sechs Monate zuvor die Vegetation ins Kraut schießen lassen. Es braucht nicht viel für eine Feuersbrunst. Klassisch: die weggeworfene Zigarette aus dem Autofenster. Oder die zerbrochene Bierflasche – vor allem nach dem Wochenende, wenn die Kids in ihren Pick-ups stundenlang über die Schotterpisten brettern und versuchen, mit dem Leergut Straßenschilder und Zaunpfähle zu treffen. Oder ein Blitzschlag, der eines der ersten Sommergewitter ankündigt. Und mit einem Mal steht die Landschaft in Flammen. Sonst eher wortkarge Farmer lassen alle Gelassenheit fahren und agieren ziemlich plötzlich Harald, Leiter von Okatumba Wildlife Research, lässt einen Wassertank samt Pumpe auf die Lagerfläche des Land Rover packen und mit 500 Liter aus dem Swimmingpool füllen, dann noch schnell ein Reifen gewechselt und an der farmeigenen Zapfsäule voll getankt. Die Farmarbeiter entern die Ladefläche. Horst, der Farmverwalter von Okomitundu, ist in der 80 Kilometer weiter östlich gelegenen Kreisstadt Okahandja, um Vorräte zu kaufen. Per Funk koordiniert seine Frau Annegret unsere Fahrt ins Feuer mit den Aktionen der Nachbarn, während sie per Handy ihren Mann auf dem Laufenden hält, der sich sofort auf den Rückweg macht.
Feuerwehren gibt es – abgesehen von den wenigen Städten – keine in dem Land, das zehnmal so groß wie Österreich ist, aber nur 1,8 Millionen Einwohner hat. Der Brandschutz in den ländlichen Regionen bleibt den 4.000 Farmern überlassen, von denen viele noch Nachfahren der Kolonisatoren in Deutsch-Südwestafrika vom Ende des 19. Jahrhunderts sind. Der Staat Namibia – seit 1990 von Südafrika und damit dem damaligen Apartheidsystem unabhängig – macht von seinem Vorkaufsrecht für Farmen nur zögerlich Gebrauch; gewaltsame Landnahmen mit ihren verheerenden Folgen für die Lebensmittelversorgung wie in Zimbabwe gibt es nicht. Stattdessen setzt die Regierung auf Kooperation mit dem von der deutschen Minderheit dominierten Farmer-Verband.
Die Lievenberg-Farm, auf deren Gelände das Buschfeuer ausgebrochen ist, wurde vom Staat gekauft und Siedlern zugewiesen; der alte Eigentümer hatte sich Mitte der 1990er-Jahre nach einer dreijährigen Trockenperiode finanziell übernommen. Als wir nach eineinhalb Stunden Fahrt querfeldein auf der Lievenberg-Farm eintreffen, stehen die neuen Eigentümer ratlos ohne Fahrzeuge auf dem heruntergekommenen Gelände und wissen sich nicht zu helfen. Zwei Männer steigen zu und weisen uns den vermeintlichen Weg zum Brandherd.
Erst stoßen wir auf eine inselartige Fläche im Busch, auf der das Feuer gewütet hat, vom Wind aber in Richtung eines Riviers getrieben wurde, wo es mangels Nahrung im sandigen Flussbett verendete. Hinter der nächsten Flussbiegung ragen die Rauchsäulen in den Himmel und dann stößt schon die Feuerfront durch die weißgoldene Vegetation. Bis zu acht Meter hoch ragen die Flammen empor und fressen sich zügig voran. Vor allem brennt das Gras, bei den Büschen entzünden sich nur die Blätter, die kahlen Kameldornbäume scheinen so unbeeindruckt wie Felsen in der Brandung.
Die Front selber ist maximal einen Meter breit. Was Angst macht, ist das Tempo, mit dem die Flammen die Landschaft binnen Sekunden mit einem grauen Ascheschleier überziehen. „Alles halb so wild“, meint Harald, während er dann doch recht zügig einen drei Meter hohen Baum niederfährt, der uns den Weg zwischen Feuerfront und Rivier versperrt. „Vor zwei Wochen waren die Flammen 30 Meter hoch. Da wurde sogar die Armee eingesetzt, weil das Feuer die wichtigste Straßenroute und Eisenbahnstrecke zwischen Küste und Hauptstadt bedrohte.“ Hier aber ist nur Farmland bedroht, da müssen sich die Nachbarn selber helfen.
Im Prinzip gibt es zwei Bekämpfungsmethoden. Erstens: Die Ausbreitung des Feuers wird auf das Terrain zwischen zwei Rivieren beschränkt. Von der Ladefläche aus versuchen die Farmarbeiter das Vordringen der Flammen mit dem Wasserdruck eines etwas stärkeren Gartenschlauchs in Richtung Rivier zu drängen.
Gefahr droht vom plötzlich umschlagenden Wind. Als eine Böe die Feuerfront wider Erwarten auf uns zutreibt, bleibt als Flucht nur der Tritt aufs Gaspedal und die Fahrt durch die Feuerfront. Denn dort, wo es einmal gebrannt hat, finden die Flammen keine Nahrung mehr. Und das ist auch schon die zweite Methode: Gegenfeuer sollen der Feuersbrunst die Angriffsfläche nehmen. Das wird vor allem dann nötig, wenn durch Funkenflug plötzlich Flächen jenseits des vermeintlich feuerfesten Riviers in Flammen stehen. Wenn dann die Löschversuche vergeblich sind, bleibt nur noch der Griff zum eigenen Feuerzeug.
Der Artikel im Layout des Universum Magazins
Es gibt auch zwei Löschmethoden: Die eine erleben wir nach gut zwei Stunden in dem Buschfeuer. Die Gewitterwolken, deren Blitz das Feuer wohl ausgelöst hat, sind trächtig genug, um mit einem Regenguss die Feuerfront zu ersticken. Die übrigen glosenden Feuerstellen werden mit dem letzten Löschwasser eingeäschert. Über der Landschaft liegt der beißende Geruch von verkohltem Holz und steht ein glorioser Regenbogen im vollendeten Halbkreis, während die Sonne unter den Wolken hervorbricht und ein finaler Schauer die Asche in den Haaren und auf der Haut in gräuliche Schlieren verwandelt. Zeit, einmal tief durchzuatmen.
Der Schaden ist überschaubar. Zwei Reifen sind bei der Fahrt durch die Feuerfront und durch Glutnester leck geworden. Das durch die Asche jetzt gut gedüngte Weideland wird nach der Regenperiode in voller Pracht erblühen. Geier holen sich ein paar gut gegrillte Schlangen und andere Reptilien, die irrtümlicherweise Büsche als Fluchtwege aufgesucht haben. Alles andere Getier hat erfolgreich das Weite gesucht und gefunden. Kühe – das typische Zuchtvieh für die Region am Oberlauf des Swakop-Riviers – wurden gerade nicht in dem Buschland geweidet.
Auch die Zäune waren nicht gefährlich. Sie beschränken nur den Aktionsradius der Rinder; alle anderen Großtierarten – egal ob Antilopen, Gazellen und Zebras oder Wildkatzen und Hyänen – können die fünf, maximal eineinhalb Meter hohen Drähte problemlos überwinden. Diese Zäune und das Vieh sind auch der Grund für den Artenreichtum in Namibia: Im Gegensatz zu den meisten Ländern der Welt sind die Wildtierbestände in Namibia nicht auf Nationalparks beschränkt, sondern 80 Prozent der Wildtiere leben außerhalb von Schutzgebieten hauptsächlich auf privatem Farmland.
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Den Kühen – erst von den Farmern im 19. Jahrhundert eingeführt – ist jedes Fluchtverhalten fremd. Also fallen sie als Beutetiere für Leoparden aus, Geparde scheuen vor den Rindviechern sowieso zurück; deswegen wurden die potenziellen Trophäen nicht so bejagt wie anderswo. Weiter südlich, wo lange Karakul-Schafzucht betrieben wurde, schränken dichte Maschendrahtzäune die Bewegungsräume der Wildtiere ein. Die Weidewirtschaft aber sicherte – wenn auch so nicht ursprünglich von den Farmern beabsichtigt – ein verhältnismäßig artgerechtes Biotop für Großkatzen. Besonders paradox: Die Geparde profitieren in Namibia von der einst intensiven Bejagung von Löwen und Braunen Hyänen, die heute praktisch nur mehr in Schutzgebieten vorkommen, womit für die Geparde zwei wesentliche Jagdkonkurrenten wegfallen.Was dazu führt, dass Namibia heute als Brennpunkt der Forschung an Leoparden und Geparden in Afrika gilt.
Das Verbreitungsgebiet der Geparde erstreckt sich inklusive einiger Inselpopulationen über ganz Afrika mit Ausnahme der Sahara und der Urwaldgebiete Zentralund Westafrikas bis hinauf in den Iran. In relevanter Anzahl werden die schnellsten Landraubtiere der Welt aber nur in der ostafrikanischen Serengeti und in Namibia gesichtet. Der Bestand in Namibia wird auf 3.000 bis 5.000 Geparde geschätzt, was circa einem Drittel der Weltpopulation entspricht. Die Zahlen und die Schwankungsbreite sind erstaunlich, weil sie den bemerkenswert geringen Wissensstand über die Großkatzen offenbaren.
Die Wissenslücken zu schließen hat sich Okatumba Wildlife Research zur Aufgabe gemacht. Seit 1998 erforscht das Ehepaar Harald und Birgit Förster das Farmland als Habitat für die Großkatzen, leistet Aufklärungsarbeit bei den Farmern und entwickelt Managementpläne für die Nutzung durch Weidevieh und Wildtiere. Um aber überhaupt zu wissen, wie viele Tiere wann und wo das Habitat in Anspruch nehmen, untersuchen die Försters mit ihren StudentInnen die Bewegungsprofile von Geparden, indem sie Spuren zählen, potenzielle Beutetiere sichten und erfassen sowie Vegetationskartierungen und Weideuntersuchungen vornehmen. Die wichtigste Maßnahme ist die Ortung der Tiere per Funkpeilung. Dazu werden Fallen an so genannten Rendezvous-Bäumen in den Rivieren aufgestellt: Mächtige Akazien, die läufige Gepardenweibchen mit Kot und Urin markieren, was den Männchen ihre Fortpflanzungswilligkeit signalisiert.
Der Baum wird mit einem Ring aus Dornengehölz umgeben, der einzige, vermeintlich freie Zugang führt durch die Falle. 2006 konnten Harald und Birgit Förster auf Okomitundu so sieben Geparde fangen, vermessen und drei davon mit Sendern ausstatten; das Forscherpaar geht davon aus, dass zehn bis zwölf Geparde mehr oder weniger regelmäßig auf dem Gelände der Farm umherziehen. Unterstützt werden die Försters bei ihrer Arbeit von TouristInnen, die, organisiert von Biosphere Expeditions, an den Untersuchungen in Phasen von zwei Wochen als wissenschaftliche Hilfskräfte teilnehmen.
Nora aus Zürich und Renate aus Hamburg sind mit Harald und dem Fährtenleser Pit unterwegs. Pit und Renate sitzen auf den vorderen Radkästen des Land Rover, der im Schritttempo von Harald gelenkt wird. Renate starrt ohne Ergebnis auf den sandigen Feldweg, Pit wirft ab und zu einen Blick auf die Spuren und berichtet Harald von Perlhühnern, Stachelschweinen, Springböcken, Steinböcken (kleinen Springantilopen), Schakalen. Die deutschen Kolonialherren nannten Pits Vorfahren Buschmänner, sie selbst nennen sich in ihrer von Klick- und Schnalzlauten durchsetzten Sprache San. Trotzdem funktioniert die Verständigung: Harald spricht Afrikaans, das Pit als Spurenleser für die südafrikanische Armee gelernt hat. Und so gelingt es mir, mich mit Pit in einer Art plattdeutschem Kauderwelsch zu unterhalten.
„Da, neben dem großen Baum, Zebras.“ Pit weist auf den gegenüberliegenden Berghang, in dessen Strauchwerk ich genau nichts ausmachen kann. „Zwei Hengste, ein älterer und ein jüngerer. Fünf Stuten und zwei Fohlen“, zählt Pit beiläufig auf. Die Landschaft ist für ihn kein offenes Sachbuch, sondern ein opulenter Bildband. Dann eine Bewegung im Dickicht. Tatsächlich lassen sich die Tiere erkennen, wie sie ohne Hast weiterziehen.
Auf einer Lichtung bleiben sie stehen und blicken zu uns herüber. Die Sichtung wird nach der Rückkehr auf die Farm beim Tagesreport vor dem Mittagessen ebenso stolz vermeldet wie die Erlebnisse der anderen Gruppen: Die Australier Steve und Sally haben mit der Kanadierin Margot an der Wasserstelle beim Alten Damm Kudus (mit ihren gedrehten Hörnern), Gemsböcke (mit spitzen Hörnern), Elenantilopen und Klipspringer gesichtet.
Jenny, Lutz und Karin aus Deutschland haben mit den Antennen und Funkgeräten versucht, ein Leopardenweibchen zu orten, das vor einigen Wochen mit einem Senderhalsband ausgestattet wurde. Die Engländerin Jill und die Italienerin Feda haben den Grenzzaun der Farm kontrolliert und sind dabei auf eine Hartebeest-Herde gestoßen. In jedem Universum- Film (beziehungsweise Magazin), bei jedem Zoo-Besuch hätten die Teammitglieder wahrscheinlich mehr Wildtiere mit geringerem Abstand zu sehen bekommen. Niemand hätte dafür um sechs Uhr früh aufstehen und reihum zwei Wochen lang eine der Aufgaben unterstützt von den StudentInnen übernehmen müssen (inkl. Abwasch nach den Mahlzeiten, was übrigens ebenfalls erstaunlich friktionsfrei für Geschirr und Teilnehmer vonstatten geht).
Aber da ist dieser Blick in das weite Hochtal des Swakop, aus dem solitäre Granittürme hervorragen, die sich im Gegensatz zum Sandstein der Erosion der seltenen Regengüsse in den vergangenen Jahrmillionen erwehrt haben; die Abendstimmung, wenn nach einem wolkenlosen Tag die Sonne sich hinter die Wolken an der Küste im Westen schiebt und ein polychromes Farbenspiel auf die im Minutentakt von mattem Braun über strahlendes Gold bis zu kräftigem Bronze sich verfärbenden Bergrücken zaubert; der Schrecken und die Erleichterung, wenn das Geraschel im Gebüsch doch kein Warzenschwein, sondern eine Schar Perlhühner ist; das Erstaunen über die Erdmännchen, die am Straßenrand rumlungern wie eine Gang Halbstarker in einer üblen Nachbarschaft; die Verwunderung über die Kunstfertigkeit der Webervögel, mit der sie bionische Meisterarchitektur an dornigen Büschen anbringen.Das unmittelbare Erlebnis verweigert sich jeder noch so umfassenden Imitation. Und erst durch die eigene Wahrnehmung wird die medial vermittelte Darstellung für die Zukunft auch wirklich greifbar.
Etwa wenn wieder das Funkgerät zu quäken beginnt und sich die Biosphere- Expeditionsleiterin Claire meldet. Wo gestern schon ein Leopardkater in die Falle gegangen ist, der sich den extrem gut abgehangenen Köder am Baum sichern wollte, ist heute tatsächlich das Weibchen in die zweite, eilig aufgestellte Falle getappt; äußerst ungewöhnlich, weil Leoparden Einzelgänger sind. Binnen Minuten sind die Teams im Feld verständigt, eine gute Stunde später stehen alle Land Rovers im roten Sand des Riviers hinter der Mathildenhöhe. Ebenfalls mit dabei ist Tierarzt Mark Jago, der am Vortag verständigt worden und am morgen als Buschflieger mit seiner Cessna 206 auf dem Flugfeld nächst der Farm gelandet ist. Jago narkotisiert die beiden Tiere mit seinem Betäubungsgewehr.
Das Team aus Zoologen und Veterinärmedizinern agiert behände in einem rasch im Schatten aufgebauten Open-Air- Labor. Harald und Birgit wiegen die beiden betäubten Tiere (64 Kilo respektive 32 Kilo), legen sie auf OP-Tische und beginnen mit der Probenentnahme und der Vermessung. Gleichzeitig wird beiden Tieren ein intravenöser Zugang für den Tropf gelegt, damit die Großkatzen nicht dehydrieren; Birgit deckt die Augen der Tiere mit Handtüchern zu, weil auch die Lider betäubt sind und sich nicht schließen.
Innerhalb einer halben Stunde sind alle Haar-, Speichel- und Blutproben genommen, die Körper vermessen, die Senderhalsbänder angepasst; die Wissenschaftler staunen darüber, dass das Gesicht des Männchens praktisch frei von Narben ist, und das Fell beider Tiere in tadellosem Zustand. Offenbar handelt es sich um ein kerngesundes Paar. Zügig werden die Arbeiten abgeschlossen, die Materialien eingepackt und die Tiere in den Schatten gelegt. Nach gut 20 Minuten lässt die Wirkung der Narkose nach.Von den sicheren Autos aus beobachten die Teammitglieder, wie die beiden Leoparden erst im Schatten liegen bleiben und dann nach einer Weile in den Busch ziehen. Die ganze Nacht hindurch folgen Teams mit Telemetriegeräten den Tieren. Auf der Mathildenhöhe ist der Empfang besonders gut. Die Milchstraße zieht ihren weiß schimmernden Schleier über den Nachthimmel, Sternschnuppenschauer erglühen. Aus dem Kopfhörer dringen die Pfeiftöne der beiden Leoparden.
Die Milchstraße ist ein gutes Zeichen. Die Rauchsäulen des Buschfeuers haben sich verzogen. Die Feuerwände, die zuvor noch mit der rot-orangefarbenen Front des Sonnenuntergangs verschmolzen waren, sind in sich zusammengefallen. Binnen Minuten ist die Landschaft in die tiefschwarze Nacht getaucht, quer über dem Himmel zeichnet sich die Milchstraße ab.
Jetzt setzen die Männer die zweite Löschmethode ein: abwarten und ausglühen lassen. Wo das Feuer tatsächlich das immens harte Holz eines Kameldornbaums in Brand gesteckt hat, glost der Baumstamm vor sich hin. Die Farmarbeiter wärmen sich in der jetzt erstaunlich kalten Nacht an diesen letzten Flammen.
Horst, der Farmer von Okomitundu, taucht plötzlich mit seinem Toyota aus der Dunkelheit auf. Mit nacktem Oberkörper, auf dem Weg hat er ein paar Glutnester mit seinem Hemd gelöscht. „Werkzeug hatte ich ja nicht mit, bloß die 24 Kisten Bier aus Okahandja.“ Keine Frage, wertvolles Gut. Ein bisschen warm zwar, aber im flackernden Licht des gezähmten Buschfeuers auf der Lievenberg-Farm erfüllt es seinen Zweck ausgezeichnet.
Leseleiste
„Herero“ von Gerhard Seyfried: Imposantes Epos – organisiert als diskrete Romanze zwischen einem Kartografen und einer selbstbewussten Fotografin – über die deutschen Siedler und die aufständischen Hereros im Kampf gegen die Truppen des Kaisers. (Aufbau Taschenbuchverlag, 640 S., € 10,30)
„Morenga“ von Uwe Timm: Der Aufstand der Ureinwohner gegen die deutschen Kolonialherren aus wechselnden Perspektiven beschrieben – ein grandioser historischer Roman. (dtv, 444 Seiten, € 11,40)
„Afrikanisches Fieber“ von Ryszard Kapuscinski: Zwar nicht explizit Namibia beschreibend, aber unumgänglich für eine profunde Kenntnisnahme des ebenso prallen wie verzweifelten Kontinents: Reportagen aus 40 Jahren des wohl kenntnisreichsten europäischen Afrika-Korrespondenten. (Piper TB, 322 Seiten, € 9,30 )
„Namibia“ von Lizzie Williams: Der umfassende Namibia-Reiseführer (auf Englisch) mit ausführlicher Einleitung, historischen Hintergründen, praktischen Reisetipps, vor allem aber profunden Beschreibungen der Regionen plus brauchbarem Kartenmaterial und farbigem Bildteil über die Wildtiere. (Footprint, 400 Seiten, € 23,95)
„Birds of Southern Africa“ : Wildtieren begegnet man üblicherweise ohnehin immer in Gesellschaft eines Guides, Vögel hingegen sind überall zu beobachten. Das Standardwerk zeichnet sich durch exzellent gemalte Vogelporträts mit griffigen Beschreibungen, eine Checklist und zwei kompakte Doppelseiten für den schnellen Abgleich aus (Struik, 448 Seiten, € 30,70)
„Namibia“: Ordentlich gemachter Bildband mit soliden Informationen über Geschichte, Land und Leute. Sinnvolle Gliederung der Regionen mit aktuellen Daten und sehr guter Fotografie und Kartografie. Gut für die Vorbereitung. (Bruckmann, 166 Seiten mit vielen Abbildungen, € 23,60)