Anläßlich der längst überfälligen Diskussion über die Absurdität und Bosheit des Staatsbürgerschaftstests für einbürgerungswillige Menschen stelle ich meinen Versuch, diesen Test zu bewältigen, hier her – verfasst im Jahr 2009 für das Buch „Wir sind gekommen, um zu bleiben“ (Czernin Verlag)
Die Einbürgerung
Jetzt ist es aber echt gut. Ich musste nicht erst kommen, um zu bleiben: Ich bin in Wien geboren, zur Schule gegangen, hab hier geheiratet, Kinder gekriegt. Wäre ich nicht in pubertierenden Sommern zur englischen Verwandtschaft ausgelagert worden, hätte ich nicht vier Jahre in Hamburg gearbeitet (was soll man da sonst auch machen), würde der Aktionsradius meines bisherigen Lebens dem eines durchschnittlichen Wieners meines Jahrgangs entsprechen: Ich lebe heute rund 1000 Meter Luftlinie von jener Wohnung entfernt, in der ich auf der anderen Seite des Stadtparks aufgewachsen bin. Warum also gebe ich die deutsche Staatsbürgerschaft nicht auf? Warum werde ich nicht endlich Österreicher?
Lassen wir es drauf ankommen. Auf www.help.gv.at („Ihr offizieller Amtshelfer für Österreich“ – das Rechtschreibprogramm markiert „Amtshelfer“ rot unterstrichen als Fehler, der Duden erläutert: „österr. für Leitfaden für Behördenwege“. Oder ist das jetzt sehr deutsch von mir?), auf www.help.gv.at also finde ich die Informationen zum „Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft“. Am Ende der Seite lockt ein Link: „Hier könnte Ihr Werbebanner aufscheinen.“ Wofür mag man hier werben wollen? Vielleicht für eine antiquarische Ausgabe von Friedrich Heers „Kampf um die österreichische Identität“ von 1981, dessen allererster Satz lautet: „Es gibt kein geschichtliches Gebilde in Europa, dessen Existenz so sehr mit den Identitätsproblemen seiner Mitglieder verbunden ist wie Österreich.“ Nein, so an die Sache heranzugehen, wäre wirklich zu deutsch. Halte ich mich also an die Vorschrift.
Für mich relevant sind die Informationen zum Erwerb der Staatsbürgerschaft durch „Verleihung“, mit „Abstammung“ kann ich nicht dienen. „Zur Verleihung müssen in jedem Fall die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt sein.” Die da sind:
Erstens: „Mindestens zehnjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich, davon mindestens fünfjährige Niederlassungsbewilligung“. Das ist zwar kein deutscher Satz, die Niederlassungsbewilligung kann ich trotzdem nicht vorweisen. Aber „ für EU-Bürgerinnen (…), die sich bereits vor dem 1. Jänner 2006 rechtmäßig in Österreich niedergelassen haben und nach dem Meldegesetz gemeldet sind, gilt die aufrechte Meldung als Anmeldebescheinigung.” Glück gehabt. Was aber, wenn ich nicht ordentlich gemeldet wäre? Wenn mein Vermieter den Meldezettel schlampig ausgefüllt hat? Wenn ich mich erst am 2. Jänner 2006 rechtmäßig in Österreich niedergelassen hätte? Käme ich dann in Schubhaft? Mit oder ohne Kinder?
Zweitens: „Unbescholtenheit“. Also „keine gerichtlichen Verurteilungen und kein anhängiges Strafverfahren (sowohl im In- als auch im Ausland)“. Sowie „keine schwer wiegenden Verwaltungsübertretungen mit besonderem Unrechtsgehalt“. Kein Problem, die Punkte in Flensburg sind getilgt.
Drittens: „Hinreichend gesicherter Lebensunterhalt“. Der besteht aus dem „Nachweis fester und regelmäßiger eigener Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen für die letzten drei Jahre zum Entscheidungszeitpunkt“. Erstaunlicherweise wird kein Mindestbetrag angegeben. Aber die nächste Gesetzesnovelle kommt bestimmt. An Gebühren werden aber sowieso mindestens 700 Euro fällig.
Viertens: „Deutschkenntnisse und Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung, Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes“, nachzuweisen durch eine „Staatsbürgerschaftsprüfung“. Immerhin: Der „Nachweis der Kenntnis der deutschen Sprache“ wird mir wegen meines hiesigen Schulbesuchs erlassen.
Wie wird mein Wissen über die „demokratische Ordnung Österreichs“ überprüft? Damit zum Beispiel: “Wen binden Gleichheitsgrundsätze und Diskriminierungsverbote?” Antwort: “Gleichheitsgrundsätze und Diskriminierungsverbote binden Gesetzgebung und Vollziehung. Aus ihnen folgt, dass Vergleichbares gleich und sachlich nicht Vergleichbares ungleich zu behandeln ist, oder mit anderen Worten: Ungleiches darf nicht unsachlicherweise gleich behandelt werden.” Sondern nur sachlicherweise?
Meine Wien-Kenntnisse werden mit folgenden Fragen erhoben: “Welcher Fluss gab der Stadt Wien ihren Namen? a) der Wienfluss; b) die Donau; c) die Salzach”. Oder: “ Woher kommt der Begriff Gemeindewohnung? a) weil sie von der Gemeinde Wien gebaut wurden; b) weil sie von einer Privatperson gebaut wurden; c) weil sie von einer Bank gebaut wurden.” Oder: “Wie heißt die größte Glocke des Stephansdoms, die immer zu Beginn des Neuen Jahres (Sylvester) geläutet wird? a) Ratsglocke; b) Stephani; c) Pummerin”. (Dem Verfasser der Fragen wurde offenbar so wie mir der Deutsch-Test erlassen. Anders lassen sich die beiden Rechtschreibfehler in dieser Frage nicht erklären. ) Und schließlich: “Was ist das Besondere an Wien?” Wäre das hier kein Multiple-Choice-Test, wer weiß, ob ich bestehen würde. “a) Wien ist Gemeinde, Bundesland und Hauptstadt; b) Wien ist ein Vorort von Graz; c) Wien ist die Hauptstadt von Kärnten.”
(Apropos Kärnten: In der „Lernunterlage des Landes Kärntens“ wird noch im August 2009 gefragt: „Wie heißt der Landeshauptmann von Kärnten? a) Hans Huber; b) Michael Häupl; c) Jörg Haider.” Das kann man ja nur falsch beantworten. Oder sollte das der Sinn der Sache sein? Will man etwa keine Ausländer in Kärnten einbürgern? Andererseits: Vielleicht ist Antwort c) beabsichtigt, verheißt doch ein Liedtext: „Ihr Jungen schließt die Reihen gut / Ein Toter führt Euch an / Er gab für Österreich sein Blut / Ein wahrer deutscher Mann“ Der Reim galt zwar Engelbert Dollfuss, aber was soll’s. Und noch eins: Wer ist Hans Huber?)
Im Ernst: Glaubt irgendjemand tatsächlich, mit dieser Ansammlung an Hahnebüchereien die Integrationswilligkeit eines potenziellen Österreichers erheben zu können? Eh nicht. Den Autoren dieses Fragekatalogs – und ihre Auftraggebern – ist zu danken. Sie versuchen erst gar nicht zu verheimlichen, dass es sich bei diesen Tests einfach um eine Frotzelei handelt. Weiter im Text:
Fünftens: „Bejahende Einstellung zur Republik Österreich und Gewährleistung, dass keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit besteht“ Jetzt wird’s heikel: Burggarten, Hainburg, Republikanischer Club, Mitglied der Falter-Redaktion (Anfang der 90-er Jahre), Autor des Czernin-Verlags… Da bin ich auf das Wohlwollen des Vollzugsbeamten angewiesen. Vielleicht habe ich ja Glück und es handelt sich um einen klandestinen Falter-Abonnenten, der sich meiner wegen der Rubrik „Vor 20 Jahren“ erinnert, der an sich nur seine Pflicht tut, aber ausnahmsweise Gnade vor Recht ergehen lässt. Vielleicht aber auch nicht.
Sechstens: „Kein bestehendes Aufenthaltsverbot und kein anhängiges Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung, keine Ausweisung innerhalb der letzten zwölf Monate“ OK. Aber: „Kein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung“. Ich hoffe, das Urteil darüber wird nach meinem obigen Outing nicht durch „Das freie Wort“ unter Vorsitz von Franz Weinpolter gefällt. Und: „Grundsätzlich Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit“. Wat mutt, dat mutt, wie wir an der Waterkant sagen.
Schließlich, siebentens: „Durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft dürfen die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden und die Interessen der Republik Österreich nicht geschädigt werden.“ Danke für die Einschränkung „nicht wesentlich“. Das gibt mir doch einigen Spielraum. Ob ich allerdings für alle Zukunft eine Schädigung der Interessen der Republik Österreich durch mein Tun ausschließen kann? Wer beurteilt das denn? Und was, wenn ich mich erst nach der Verleihung der Staatsbürgerschaft als Schädling erweise?
Zusammenfassend: Das wird knapp. Und der Amtsweg ist noch lange nicht bewältigt: Denn die Erfüllung der „allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen“ ist bloß der Schlüssel für die entscheidende zweite Runde. Die Option der „Verleihung der Staatsbürgerschaft bei Wohnsitz im Ausland“ schließe ich aus, weil es allzu skurril wäre, würde ich Ösi in Deutschland werden. Das war ich mit meinem Akzent de facto eh schon. Bleiben noch Verleihung „aufgrund eines Rechtsanspruchs“ und „aufgrund freien Ermessens“. Im ersten Fall kann ich immerhin eine „fünfjährige aufrechte Ehe“ – möglicherweise ist gemeint: eine „seit fünf Jahren bestehende Ehe“ – mit einer österreichischen Staatsbürgerin vorweisen. Gut gefällt mir aber dieser Joker, demzufolge „die Verleihung aufgrund von bereits erbrachten und zu erwartenden außerordentlichen Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet im Interesse der Republik Österreich liegt.”
Cool. Aber ein bisserl diffus. Denn in der Fußnote heißt es: „Außerordentliche Leistungen sind solche, die weit überdurchschnittlich sind und nicht auch von jeder anderen Person des gleichen Bildungsgrades und der gleichen Ausbildung erbracht werden können.“ Bei der Einschätzung durch einen Bundesbeamten wäre ich gerne einmal dabei. Noch willkürlicher ist nur noch der zweite Fall, nämlich die Verleihung „aufgrund freien Ermessens“ durch die Behörde. Ausschlaggebend für das freie Ermessen ist „das Gesamtverhalten des Antragstellers im Hinblick auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration.” Und darüber entscheidet jene Behörde, die jahrelang nicht im Stande war Franz Fuchs, Wolfgang Priklopil, und Josef Fritzl das Handwerk zu legen? Ich weiß nicht.
Ich hab’s mir überlegt. Es gibt doch noch eine Möglichkeit für mich, Österreicher zu werden. Wenn dem Land etwas an mir liegt, soll es mir das auch sagen. So wie es das auch allen anderen neu eingebürgerten Österreicherinnen und Österreichern sagen soll, die trotz derartiger Vorschriften und Tests die Staatsbürgerschaft erwerben wollen. Dass sie sich diese Mühe antun, liegt natürlich einerseits daran, dass viele dieser Mensch aus politischer und existenzieller Not in ihren Heimatländern in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – meistens eh nicht für sich, sondern für ihre Kinder – in die drittreichste EU-Nation gekommen sind. Das liegt andererseits aber auch daran, dass dieses Land nicht so verbohrt, ignorant, desinteressiert, fremdenfeindlich und abweisend ist, wie die Vorschriften, mit denen es sich umgibt. Von außen – zum Beispiel von Deutschland aus – betrachtet ist Österreich nämlich erstaunlich polyethnisch und multikulturell, innovativ und experimentierfreudig, gut gebildet und adaptionsfähig, wirtschaftlich effektiv und sozial (noch) stabil. Und zwar nicht trotz, sondern wegen seiner gut erprobten Praxis der Migration aus jeder und in jede Himmelsrichtung. Erstaunlich ist daran: Das wissen alle gescheiten und entscheidungsbefugten Menschen in diesem Land und bestätigen das gerne auf Anfrage, aber eben unter vier Augen, hinter vorgehaltener Hand; nur nicht in der Öffentlichkeit, an deren Herstellung sie selber mitwirken, der sie aber nicht trauen.
An dieser Schreckstarre vor dieser ominösen Öffentlichkeit wird sich solange nichts ändern, wie die Einbürgerung als individueller Akt der Erniedrigung und nicht als Beitrag zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft – gerne nach transparenten und justiziablen Verfahren und Quoten geregelt – gehandhabt wird.
Mein Beitrag zur Lösung dieser Schreckstarre sieht so aus: Ich möchte höflich gebeten werden, Österreicher zu werden. Bis dahin bleibe ich Deutscher. Und Tschüss.