11|12|08: Patrick Leigh Fermor

Mein erster Kontakt mit Patrick Leigh Fermor war ein mickriges Buch, vor dessen Erwerb und Kenntnisnahme ich in meiner Sachbuch-Kolumne im Mai 2011 warnte. Im Juni 2011 starb Leigh Fermor. Die Nachrufe waren überwältigend in Anzahl und Zuneigung. Bei der Lektüre der beiden Bücher über Leigh Fermors Wanderung quer durch Europa, wurde mir klar, warum er so verehrt wurde. Für das Universum Magazin (hier das PDF) habe ich mich auf Fermors Zeit in Österreich im März 1934 konzentriert.

Universum Magazin, Dezember 2011

Der Anachronist

Patrick Leigh Fermor hat sich wandernd ein Europa erschlossen, das heute völlig verschwunden ist. Seine Bücher aber eröffnen die Möglichkeit, diesen Kontinent wieder zu entdecken – und dabei die Wanderung in Geist und Geographie als allerersten Bildungsweg zu erfassen.

Manchmal ist es ganz einfach: Der Reisende und Schriftsteller Patrick Leigh Fermor ist am 10. Juni 2011 im Alter von 96 Jahren in der englischen Grafschaft Worcestershire verstorben. Die Zeitungen der englischsprachigen Welt würdigten ihn als „unerschrockenen Reisenden, heldenhaften Soldaten und Autor mit einzigartigem Prosastil“ (The Guardian) „ausgestattet mit interdisziplinärem Überschwang, brillanter linguistischer Begabung und dem Gedächtnis eines Elefanten“ (The New York Review of Books). Die Doyenne der zeitgenössischen Reiseschriftstellerei, Jan Morris, erhob ihn zum „perfekten englischen Gelehrten (…) gut aussehend (und) von verschrobener Kühnheit (…) mit einem Haus, einer Frau, einer Katze und einer Berufung, die er allesamt liebte.“

Viel Lob für ein Werk, das zehn Buchtitel umfasst, diverse Anthologien und Artikel außer Acht lassend. Das Lob wiegt noch schwerer, erfährt man, dass dieser Ruhm zu einem Gutteil auf dem 1977 veröffentlichtem Bericht „A Time of Gifts“ (zu deutsch: „Die Zeit der Gaben“) von Leigh Fermors Wanderung durch Europa in den 1930er Jahren basiert – eine Reise, die ihn auch durch Österreich führte. Weswegen also verdient Patrick Leigh Fermor dieses Lob, abgesehen von seinem ausgesprochen guten Aussehen mit diesem verwegenen Grinsen, wie er es auf dem Foto zur Schau stellt, das seine nachmalige Frau 1946 im Hafen von Ithaka aufnahm?

Sechs Monate später einen Nachruf zu verfassen, mag deplatziert scheinen. Aber Verspätungen sind keine Seltenheit in Fermors Werk. Sie sind signifikant, sowohl strukturell wie inhaltlich. Die entsprechende Bezeichnung für einen solchen Menschen lautet Anachronist. Und genau das war Fermor: Der Protokollant vergangener Epochen, die sich in den Nischen der Zeitläufte dem Verschwinden noch ein wenig widersetzen, bevor sie endgültig von dem Antlitz dieser Erde und der Festplatte der Erinnerung getilgt werden. Oft verschränken sich bei solchen Menschen Leben und Werk auf unauflösliche Weise. Indem sie sich völlig von einem Thema umfangen lassen, werden diese Menschen selbst zum Teil des Themas. Es versteht sich von selbst, dass ihnen nichts an der Wahrung einer Illusion von Objektivität liegt, sondern sie – durchaus anmaßend – sich selbst als Prisma verstehen, durch welches das Thema dringen muss, um erst in allgemein verständliche Bestandteile gegliedert zu werden.

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Grundlage dieser Fertigkeit, die Welt als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit wahrzunehmen und in Folge zu gestalten, ist ein prinzipielles Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, das wohl nur in der Kindheit entsprechend spielerisch erfahren werden kann. Wem dieses Glück nicht zuteil wird, dem bleibt nichts anderes übrig, als dieses Selbstvertrauen im Lauf einer halbwegs geglückten Biographie zu erringen oder aber ein unglücklicher Mensch zu werden.  Patrick Leigh Fermor aber war ein glücklicher Mensch.

Gefährliche Mischung

Geboren wird er 1915 in London. Sein Vater ist der Direktor des indischen Landvermessungsamtes im Dienst der britischen Kolonialverwaltung, seine „ebenso mondäne wie wilde“ Mutter war im Norden Indiens aufgewachsen. Dorthin kehren die Eltern unmittelbar nach seiner Geburt zurück, während Patrick für die nächsten dreieinhalb Jahre bei einer Pflegefamilie auf einer Farm deponiert wird: „Diese fabelhaften gesetzlosen Jahre machten mich unbrauchbar für jede Art der Einschränkung“, was sich ganz unmittelbar in einer sehr wechselhaften Schulkarriere auswirkt. Sein Lehrer an der ehrwürdigen King’s School in Cambridge beschreibt ihn als „gefährliche Mischung aus Kultiviertheit und Verwegenheit“, um ihn kurz danach rauszuschmeißen. Die Affäre mit der Tochter des örtlichen Gemüsehändlers soll nur einer von mehreren Gründen sein.

In London in das Äquivalent einer Maturaschule gesteckt nutzt Leigh Fermor die Zeit, um sich binnen kürzester Zeit jede Menge Literatur anzueignen, die nicht auf der Leseliste steht, darunter die Beschreibung der orthodoxen Klöster auf dem Berg Athos von Robert Byron und der Genre-prägenden Reportage von George Orwell „Down and Out in Paris and London“. Mit der Unverfrorenheit, die nur orientierungslose 18-jährige an den Tag legen können, entschließt sich Fermor in das vormalige Zentrum der Orthodoxie, nach Istanbul aufzubrechen, und zwar zu Fuß als Vagabund, wie er es bei Orwell gelesen hat.

Ausgestattet mit einem Rucksack (darin Notizhefte, ein Zeichenblock, Blei- und Buntstifte sowie eine Sammlung englischer Lyrik und eine Ausgabe von Horaz-Gedichten) besteigt Leigh Fermor am 9. Dezember 1933 in London einen Dampfer, der ihn die Themse abwärts und quer über die Nordsee nach Hook van Holland bringt. Er sollte erst im Januar 1937 nach England zurückkehren. In den drei dazwischen liegenden Jahren wandert Fermor quer durch Europa sich recht großzügig an Rhein und Donau orientierend. Erst stapft er durch die winterlichen Niederlande, übernachtet in kleinen Pensionen und beginnt zu erkennen, dass er mit den vier Pfund, die er sich pro Monat an Postämter auf der Route vorausschicken lässt, nicht auskommen wird. Doch wer zu Fuß unterwegs ist, weckt Interesse und schließt schnell Freundschaften – noch dazu, wenn man als Ziel „Istanbul“ angeben kann.

Mit dieser Nonchalance überschreitet Fermor die Grenze nach Deutschland. Die Nationalsozialisten sind seit bald einem Jahr an der Macht, mehr und mehr Menschen fliehen vor dem immer umfassend werdenden Terror. Doch Leigh Fermor  taumelt wie Parzival als tumber Tor in dieses Land. Seine Beobachtungen wirken heute in ihrer Naivität befremdend – und sind doch ungemein wertvoll, weil sie einen Blick auf den Alltag ermöglichen, der in der Literatur außerordentlich selten ist. Und: Leigh Fermor widersteht 45 Jahre später zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der leicht nachvollziehbaren Versuchung, die Geschichte von ihrem Ende her zu erzählen und damit seine Wahrnehmungen zu relativieren.

So schildert er die Parade von SA-Männer im westfälischen Goch mit ihren „grauenhaften Kappen“, die danach in einem Wirtshaus sentimentale Lieder singen, eingehüllt in einer Wolke aus „Bier, Kümmel, Bienenwachs, Kaffee, harzigem Holz und schmelzendem Schnee“, um dieser Szene eine nächtliche Begegnung gegenüberzustellen: „Auf halber Höhe des Stiegengewölbes stand ein stöhnendes Braunhemd, gegen die Wand gelehnt mit seinem hakenbekreuzten Arm, sich von der Zufuhr des Abends in einem ungehemmten Schwall befreiend, der sich über die Treppen hinab ergoss.“ Fermors abschließender Kommentar „Love’s labour’s lost“ lässt sich nur ansatzweise mit „vergebene Liebesmüh“ übersetzen.

Den Rhein aufwärts

Neben diesen klar gesetzten und erhellenden Vignetten sind es die Landschaftsbeschreibungen, die diesen Text so wertvoll machen. Der Leser findet sich mit Leigh Fermor durch den Schnee stapfen und zur Unterhaltung Verse von Horaz rezitieren. Die Erkundung der nächsten Hügelkette, der nächsten Wegkrümmung, des nächsten Kirchturms ist dabei frei von jeder obsessiven Sinnsuche, sondern geprägt von einer Freude, die Virgina Woolf in der fiktiven Biographie „Orlando“ so beschreibt: „Von Geburt an litt sie an der Englischen Krankheit, der Liebe zur Natur.“ Und auf die thessalischen Hügel bezogen, heißt es weiter: „Und hier, wo die Natur noch großzügiger und mächtiger als in England war, fiel sie in die Hände dieser Krankheit wie noch nie zuvor.“

Leigh Fermor ist erstaunlich schnell unterwegs. In Köln freundet er sich mit Rheinschiffern an, die ihn flussaufwärts mitnehmen. Weihnachten verbringt er in Bingen, wo ihn die Wirtsleute einfach in die Familie aufnehmen und er deren propere Töchter und den Weihnachtsbaum in der guten Stube bestaunt. Einem Hinweis folgend beginnt er in Rathäusern einfach nachzufragen, ob er nicht auf Gemeindekosten für die Nacht unterkommen könne. Und siehe da, der 18-jährige Engländer wird oft gleich direkt vom Bürgermeister aufgenommen, am nächsten Morgen mit einer Tagesration an Spezereien und einem Empfehlungsschreiben für die nächste Etappe ausgestattet. Den Neckar hinauf gelangt er nach Stuttgart, wo er von zwei großbürgerlichen Musikstudentinnen aufgegabelt wird, die vom „englischen Globetrotter“ ganz fasziniert sind und ihn Münchner Bekannten avisieren. Fermor wird von Herrenhaus zu Schloss zu Landgut weiter gereicht. Außer einer guten Geschichte, einem charmanten Akzent, seinem Aussehen und seiner britischen Provenienz hat er nichts zu bieten. Das macht nichts. Fermor ist Teil eines Netzwerks von Kleinadeligen und Großbürgern geworden, die mit beiden Beinen fest in der Vergangenheit stehen. Und Fermor weiß sich in diesem Umfeld zu benehmen.

Die österreichische Grenze erreicht er am 4. Januar 1934, in nur einem Monat hat er die Niederlande und Deutschland durchquert. Eine Aufschlüsselung seiner Tagesrouten zeigt, wie hurtig Leigh Fermor unterwegs ist. Von Salzburg geht es nach Eugendorf (9,2 km), Frankenmarkt (31,5 km), Ried im Innkreis (31,2 km) und weiter nach St. Martin (11,2 km). Dort ist der Schlossherr zwar nicht da, weist aber seinen Verwalter telefonisch an, Fermor standesgemäß unterzubringen. Der Wanderer hat keine Ahnung, wo er da untergekommen ist:  Der Schwiegersohn des Schlossherren, Anton Graf von Arco auf Valley, hatte 1919 den Ministerpräsidenten des kurzlebigen bayrischen Ständestaats, Kurt Elsner, erschossen. Sein Motiv: Als Sohn einer jüdischen Mutter aus der rechtsradikalen Thule-Gesellschaft ausgeschlossen wollte Arco mit dem Attentat seine nationale Gesinnung unter Beweis stellen.

Die Donau abwärts

Auf dem weiteren Weg übernachtet Leigh Fermor in einem Kuhstall, geht in Linz auf den Pöstlingberg Ski fahren, und besucht St. Florian. Wie jeder gute Wanderer kommt auch Fermor in seinem Text immer wieder vom Weg ab. Eine Führung durch das Stift nimmt er zum Anlass, um über die Donau-Schule der Malerei zu meditieren und sie den italienischen Renaissance-Künstlern gegenüber zustellen. Durch den Strudengau wandert er nach Persenbeug. Dort trifft er in einem Wirtshaus einen Privatgelehrten.

Es ist einer der Höhepunkte des Berichts. Fermor hängt an den Lippen des Mannes, der anhand der Donau eine europäische Kultur- und Naturgeschichte der letzten 2000 Jahre entwirft: „Ich war auf eine Goldmine gestoßen! (…) Flora, Fauna, Geschichte, Literatur, Musik, Archäologie – er war eine ergiebigere Quelle als jede Schlossbibliothek. Sein Englisch, gemeinsam mit seinen Brüdern von einer Gouvernante erworben, war in seiner Ausdrucksweise makellos und durch viele Aufenthalte in England poliert worden. Er war voller Geschichten über die Burgen entlang der Donau und seiner Bewohner, von denen er einer war. (…) Ein wunderbarer Bohemien mit der Anmutung eines fahrenden Gelehrten.“

Ein Bruder im Geiste: Wie dieser namenlose Freund taucht Leigh Fermor in die Geschichte und die Geschichten ein. Kein Feld ist ihm zu fern, kein Thema zu abseitig. Mit kindlicher Freude erkundet er unbekannte Territorien der Geographie und des Geistes, mit zunehmender Gelassenheit fügt er seine Erkenntnisse in eine berauschend schöne Sprache, die nur selten Pfauenräder poetischer Selbstgefälligkeit schlägt.

Durch die Wachau – über Nacht bei der Witwe eines Postamtsvorstehers – gelangt er nach Krems und ins Traisental. Per Autostopp entkommt er dem nasskalten Wetter in Richtung Wien, ein Großbauer auf dem Weg zum Markt nimmt ihn mit. Auf der überdeckten Ladefläche des LKW durchquert Fermor – einen Korb mit Eiern auf dem Schoss – den Wienerwald. Am Abend endlich erreichen sie die Hauptstadt, doch Wien liegt im Dunklen, einen Tag nach seinem 19. Geburtstag: Es ist der  11. Februar 1934. Während das Bundesheer mit Kanonen auf Gemeindebauten schießt und der klerikal-faschistische Ständestaat damit die österreichische Sozialdemokratie zerschlägt, fragt Fermor einen Polizisten bei einer der Straßensperren nach einer Jugendherberge. Der weist ihm den Weg zur Unterkunft der Heilsarmee in der Kolonitzgasse im 3. Bezirk.

An dieser Stelle gestattet sich Leigh Fermor eine Retrospektive: „In dem Moment hatte man nur die verwirrenden Ahnung von den Ereignissen. Unmittelbar danach  wurden sie verwischt, durch Gespräche und Zeitungsberichte, durch einander widersprechende Versionen, Gerüchte und gegenseitige Schuldzuweisungen. Und auf einmal, zu meiner großen Überraschung – jedenfalls schien es mir so als Fremder in dieser Stadt – löste sich das Thema in Luft auf, als ob es nie passiert wäre, und der Alltag setzte mit bemerkenswerter Geschwindigkeit wieder ein.“

Im Roten Wien

Leigh Fermor ist nicht der einzige junge Engländer, der sich im Februar 1934  hier aufhält. Das Rote Wien war Ziel vieler Linker aus ganz Europa; nirgends war die Utopie sozialistischen Stadt- und Sozialplanung umfassender realisiert worden. Rund um den Lyriker W.H. Auden – bekannt als Autor von „Stop all the Clocks“, das in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ deklamiert wird –  bildete sich  in den frühen 1930er Jahren eine Gruppe von Oxford- und Cambridge-Studenten, die aus wohlhabenden Elternhäusern stammend sich dem Sozialismus zuwandten. Christopher Isherwood etwa gehörte dazu, der die Vorlage für das Musical „Cabaret“ schrieb; oder auch der Verleger John Lehmann, der mit „Down River“ 1939 eine enorm dichte und kenntnisreiche Beschreibung der Donauländer publizierte, die mit einer wundervollen Miniatur einer Kulturgeschichte Wiens einsetzt.

1955 schrieb Lehmann: „Ich erinnere mich an Wien als ein Experiment, mit dem die sozialistische Stadtverwaltung beweisen wollte, woran wir in London so sehr zweifeln, nämlich dass die arbeitenden Massen Wohlfahrt und zivilisierte Lebensbedingungen ohne eine kommunistische Revolution erlangen könnten.“ Der in den Folgejahren prominenteste Brite, der sich zeitgleich mit Leigh Fermor in Wien aufhielt, war Kim Philby. Der überzeugte Kommunist und Cambridge-Absolvent war 1933 nach Wien gekommen, unterstützte die SPÖ im Februar 1934 und heiratete die österreichische Kommunistin Alice Friedmann, mit der er im Mai nach England zurückkehrte. Weltbekannt wurde Philby als Meisterspion des KGB, der über Jahrzehnte hinweg als britischer Top-Agent und Verbindungsoffizier zu den amerikanischen Geheimdiensten die Sowjets während des Kalten Krieges mit quintessentiellen Informationen versorgte, bevor er 1963 in Beirut unter- und in Moskau wieder auftauchte.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Entwicklung – das Wien des Februars 1934 wird für diese Briten zur Wegscheide ihres Lebens. Die Schilderungen des etwas jüngeren und politisch völlig ahnungslosen Leigh Fermor ergänzen die Berichte der älteren Aktivisten. Die jugendliche Unmittelbarkeit des Inhalts verbunden mit der Stilsicherheit des bei der Veröffentlichung des Textes um 45 Jahre älteren Autors erschließt ein Wien-Bild, das in seinen Details verblüfft. Schlicht bizarr etwa ist die Beschreibung eines Maskenballs, nur Tage nach der Beschießung der Gemeindebauten. Ein Gast entschuldigt am nächsten Morgen seine Unpässlichkeit: „Ich kann nicht sprechen. Kopfweh!“

Ein offenes Ende

Leigh Fermor ist in diesem Moment viel zu jung, um zu erfassen, dass er das Nachspiel einer Gesellschaft erlebt, die noch nicht begriffen hat, dass der Vorhang längst gefallen ist. Doch es ist gerade diese Unvoreingenommenheit, die Fermors Text so packend und so erhellend macht. Jahrzehnte später wird er in dem Nachwort zum zweiten Band auf das Gespräch mit dem Bruder im Geiste in Persenbeug zurück kommen. Der beklagt den schon in den 1930er Jahren geplanten Bau eines Donau-Kraftwerks – und nimmt damit alle Umwälzungen, denen der Kontinent in den nächsten Jahrzehnte ausgesetzt werden wird, vorweg: „Alles wird verschwinden. Sie werden den wildesten Fluss Europas in ein städtisches Wasserwerk verwandeln. All die Fische aus dem Osten! Sie werden niemals zurückkommen. Niemals, niemals, niemals.“

Nach einem Monat in Wien bricht Leigh Fermor wieder auf. Er dringt weiter in den Kontinent und seine Geschichte vor. Im ersten Band gelangt er bis an die Grenze bei der Donaubrücke von Komarno zwischen der damaligen Tschechoslowakei und Ungarn, der zweite Band führt die Erzählung fort bis ans Eiserne Tor zwischen Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien. Am Neujahrstag 1935 erreicht er tatsächlich Istanbul. Leben und Werk werden immer dichter miteinander verschränkt. Bei der Fortsetzung seiner ursprünglichen Reise wird er Augenzeuge der letzten Kavallerieschlacht auf europäischem Boden zwischen griechischen Royalisten und Republikanern. Er lernt in Athen eine um 12 Jahre ältere rumänische Fürstin kennen und lieben, mit der er die nächsten Jahre auf ihrem Anwesen in Moldawien verbringt. 1939 meldet er sich mit Kriegsbeginn zur britischen Armee und wird wegen seiner Sprachkenntnisse zum militärischen Geheimdienst versetzt. Auf Kreta organisiert er den Widerstand der Partisanen und entführt den kommandierenden General der Wehrmacht in einer ebenso haarsträubenden wie tollkühnen Aktion  ins ägyptische Alexandria; 1950 wird er Coup mit Dirk Bogarde in der Rolle von Patrick Leigh Fermor verfilmt.

Nach dem Krieg folgen Reisen in die Karibik, in die Anden und den Himalaya, bevor er sich mit seiner Frau an der Südspitze des Peloponnes ein Haus errichten lässt, in dem er zwei grandiose Bücher über Griechenland verfasst. Eines fehlt noch: Der dritte Teil der Wanderschaft quer durch Bulgarien bis nach Istanbul ist bislang nicht veröffentlicht. Am Ende des zweiten Teils steht: „To be concluded“ – „Abschluss folgt“. Die große Hoffnung gilt dem Nachlass, auf dass sich dort das Manuskript finden möge.

2008 erzählt Patrick Leigh Fermor noch einmal vom Beginn seiner Reise: „Ich dachte, ich führe ein Tagebuch und mache daraus ein Buch. Das habe ich dann auch getan, nur schreibe ich 70 Jahre später noch immer daran.“ Die Reise gab ihm nicht nur sein Lebensthema, sondern sie „erweiterte meinen Geist, sie lehrte mich Geschichte, Literatur und Sprachen. Sie eröffnete mir alles: Die Welt, die Zivilisation, Europa. Sie vermittelte mir auch die Fähigkeit zur Einsamkeit und die Bedeutung für einen Sinn. Sie lehrte mich zu lesen und zu sehen. Sie war eine großartige Schulung. Ich bin nicht auf die Universität, sondern auf Reisen gegangen.“ Wie gesagt, Patrick Leigh Fermor war ein glücklicher Mensch.

Patrick Leigh Fermor im Buchhandel und im Internet

Die beiden Berichte seiner Wanderung („Die Zeit der Gaben“ und „Zwischen Wäldern und Wasser“) sind auf Deutsch im Taschenbuch bei S. Fischer  (jeweils Euro 10,30) und im Leineneinband bei Dörlemann erschienen. Beide Verlage führen auch einen Gutteil seiner restlichen Werke. Allerdings empfiehlt es sich bei allem Engagement der Übersetzer Patrick Leigh Fermor auf Englisch zu lesen.

Eine hingebungsvoll gestaltete Fan-Seite: http://patrickleighfermor.wordpress.com/